SWR2 Wort zum Tag

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„Einer trage des anderen Last“ – die Kirchen und der Sozialstaat

60 Jahre Bundesrepublik Deutschland – ein Jubiläum, das in vielfältiger Weise zu denken gibt.

In unserem Grundgesetz aus dem Jahr 1949 steht fast wie nebenbei der Artikel 20. Er lautet: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“– „Demokratisch und sozial“ – beide Begriffe hängen zuinnerst zusammen. Dass sich in unserem Land nach den Jahren der Diktatur und des Terrors eine so stabile Demokratie entwickeln konnte, ist nicht zuletzt darin begründet, dass Solidarität und soziale Verantwortung zur inneren Wertordnung dieses Staates gehören. Dass ein soziales Netz auch solchen Menschen ein Leben in Würde ermöglicht, die unter schwierigen Bedingungen leben müssen. Zumindest ist dies der Anspruch des Grundgesetzes.

Warum betone ich dies in einer kirchlichen Verkündigungssendung? Weil die Würde des Menschen – jedes Menschen – zum innersten Kern des christlichen Glaubens gehört. Weil der Mensch nach dem christlichen Glauben Ebenbild Gottes ist – jeder Mensch: auch der Mensch auf der Verliererseite der Gesellschaft; auch der, der anderen oder gar sich selbst unwert erscheint. Die Kirchen haben in den vergangenen 60 Jahren die soziale Gestalt unserer Gesellschaft mitgeprägt. Nicht alleine, gewiss, aber doch in erheblichem Umfang. Sie haben in maßgeblicher Weise an bahnbrechenden Gesetzeswerken wie dem Bundessozialhilfegesetz oder dem Kinder- und Jugendhilfegesetz mitgewirkt. Sie haben immer wieder dafür gekämpft – oft gegen erhebliche Widerstände -, dass Migranten, Flüchtlinge, Asylsuchende hierzulande Heimat finden. Dass gebrechliche Menschen gepflegt werden, dass Suchtkranke Hilfe finden und dass Menschen mit Behinderung ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können - das ist ohne die lange Geschichte christlicher Nächstenliebe nicht denkbar. Ich will und kann bei all dem keineswegs verschweigen, dass sich in der Bundesrepublik ein soziales Hilfenetz aller Verbände der Freien Wohlfahrtspflege entwickeln konnte, das international seinesgleichen sucht. Die Kirchen, ihre Caritas und ihre Diakonie sind nur ein Teil davon. Allerdings ein wesentlicher Teil.

Es gibt keine Lorbeeren, auf denen auszuruhen wäre. Solidarität und gelebte Mitmenschlichkeit machen die Glaubwürdigkeit der Christen und der Kirchen aus. Daran müssen sie sich messen lassen. Und dies umso mehr, wenn angesichts leerer Kassen die Fragen immer lauter werden, wie viel Soziales man sich denn noch leisten könne. Die biblische Aufforderung: „Einer trage des anderen Last“, ist kein Luxus, den man sich in guten Zeiten leistet. Gerade in schwierigen Zeiten muss sie sich Gehör verschaffen. https://www.kirche-im-swr.de/?m=7083
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