SWR2 Wort zum Tag

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Es gibt Menschen, die sich einen Film über ein bekanntes literarisches Werk grundsätzlich nicht ansehen. Sie fürchten, durch die Bilder festgelegt zu werden und ihre inneren Bilder, die beim Lesen entstehen, zu verlieren. Zwar gibt es hervorragende Verfilmungen. Für mich ist ein besonders eindrückliches Beispiel Viscontis Film „Tod in Venedig“ nach der Novelle von Thomas Mann. Eigene Bilder können durch ein solches Meisterwerk angeregt oder ergänzt werden. Aber die Möglichkeit der Verdrängung gerade der Bilder, die einen beim Lesen berührt haben, bleibt auch dann.
Bilder sind begrenzt, wenn sie illustrieren und informieren wollen. Sie verfügen nicht über die „Zwischentöne“ der Worte und erreichen nicht deren Tiefe. Das kann zum Problem werden, wenn vorwiegend über Bilder transportiert wird, was um uns herum geschieht. Man nimmt dann nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit wahr, und die Möglichkeit, Wichtiges nicht wahrzunehmen oder gar getäuscht zu werden ist größer als bei Worten.
Aber nun gehören Bilder zu unserem Leben, wir können uns ihnen nicht entziehen. Brauchen wir sie nicht sogar? Braucht sie nicht auch der Glaube? – Ist, was ich über die Begrenztheit der Bilder gesagt habe, nicht ganz anders bei der bildenden Kunst? Von Paul Klee stammt der Satz: Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar. Kunst illustriert nicht; sie transzendiert das Vordergründige und deutet es aus seiner unsichtbaren Tiefe. Sie will den Betrachter ansprechen, anrühren, bewegen, manchmal provozieren. Sie hat „Wortcharakter“ – und will verstanden werden.
Bilder und Wort können sich also miteinander verbinden. Sie müssen es, vor allem in der Sprache des Glaubens. Darum ist die Bibel voll von „Wortbildern“. Wie soll man z.B. auch ausdrücken, was Christen erhoffen, wenn nicht in dieser Verbindung von Wort und Bild. Ein wunderbares Beispiel findet man in der Offenbarung des Johannes. Da heißt es in einem zu Herzen gehenden Bild: Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. Man hat mit diesem Bild eine Mutter vor Augen, die ihr weinendes Kind tröstet, einen Vater, der sein schluchzendes Kind auf den Arm nimmt und festhält. Es ist ein Bild aus unserer Erfahrung, das anspricht, berührt. Aber – es ist ein Bild und bedarf der Worte, die das, was nicht sichtbar gemacht werden kann, zu fassen versuchen. Darum heißt es in der Offenbarung weiter: und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein. Auch die Worte nehmen auf, was Menschen erfahren und was ihnen zu schaffen macht. Aber in der Verneinung all dessen verweisen sie auf das jetzt noch nicht Fassbare, das Gott schenken wird und worauf Christen hoffen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=707
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