SWR2 Wort zum Tag

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Juden und Christen

Die Geschichte von Juden und Christen in Deutschland beginnt nicht erst vor 60 Jahren. Doch ich denke, die Beziehung zwischen Christen und Juden in Deutschland ist in den letzten 6o Jahren anders geworden.

Besonders wichtig ist dafür eine kirchliche Verlautbarung aus dem Jahr 1980. In jenem Jahr erschien in der Ev. Kirche im Rheinland unter dem Titel Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden eine Erklärung, die der Entwicklung des jüdisch-christlichen Gesprächs auch in der verfassten Kirche endlich Raum gab. Sie war wegweisend. Zwar gab es bei den Evangelischen Kirchentagen schon seit 1961 die Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen. Aber dass sich eine Landeskirche der Frage des Versagens und der Schuld in der Judenverfolgung des nationalsozialistischen Regimes stellte, das war neu.

Als ich mein Studienjahr an der Hebräischen Universität in Jerusalem 1983 begann, um dort jüdische Auslegungstraditionen der Bibel zu studieren, waren die Erklärungen meiner eigenen Landeskirche noch fünf Jahre lang nicht in Sicht. Es war dieser Rheinische Synodalbeschluss, der dem Studienprogramm für Theologiestudierende in Jerusalem Auftrieb gab. Denn es gab so vieles zu klären, so vieles überhaupt erst einmal zu lernen und zu verstehen und dann auch zu diskutieren. Unseren jüdischen Gesprächspartnern erging es ähnlich. Wir spürten: Für uns war jetzt die Zeit, miteinander zu reden, über den jeweiligen Glauben, über Gott, über unsere Traditionen, über neue Wege des Verstehens, auch: des Einander-Verstehens.

Ich erinnere mich an eine Begegnung, die uns Studierende damals sehr berührt hat: Wir hatten das Glück, dass Emil Fackenheim, Religionsphilosoph und Rabbiner, bereit war, ein Seminar für uns zu halten. Er war 1916 in Halle geboren und im Umfeld des liberalen deutschen Judentums aufgewachsen. Die Nazi-Verfolgung hatte er im Exil überlebt. Mittlerweile lebte er in Jerusalem. Wir wussten, welch großartiger Denker und Philosoph er war und akzeptierten natürlich seine Bedingung, dass er uns nur auf englisch unterrichten würde. Deutsch war zwar seine Muttersprache, aber die Nazis hatten sie zerstört, und er hatte sie verloren. Doch zu seiner und unserer völligen Überraschung wechselte er in der zweiten Seminarsitzung mitten im Erzählen und Erklären vom Englischen ins Deutsche. Als er es merkte, stockte er. Wir hielten den Atem an. Er setzte sein Seminar auf deutsch fort – unter Tränen, seinen und unseren. Wir erlebten einen Mann, der in der Begegnung mit uns jungen Deutschen seine Muttersprache wieder fand. Das hat nicht nur ihn bewegt. Das hat auch uns verändert. https://www.kirche-im-swr.de/?m=7048
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