SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Der Anruf kam völlig überraschend. Eine Mitarbeiterin von mir meldet sich mit Tränen in der Stimme. Ja, sie wollte sich nur kurz melden. In den letzten Wochen hätte sie dazu nicht die Kraft gehabt. Ihr Freund ist bei einem Unfall verunglückt. Und wenige Tage später hat sich ein anderer Freund das Leben genommen. Das Gespräch stockt. Ich bin sprachlos. Ringe um die richtigen Worte. Sie weint. Zwei Beerdigungen in einer Woche, sagt sie, das ist einfach zu viel. Ich höre ihr zu, versuche sie zu trösten, Worte zu finden, die durchs Telefon tragen. Und merke, wie hilflos ich bin. Weil ich auch merke, wie die Floskeln und Formeln der Sprache, die tagtäglich gut funktionieren, jetzt außer Kraft gesetzt werden. „Das wird schon wieder“ oder „Morgen sieht es schon anders aus“ oder „Schlaf mal drüber“, das will und kann ich nicht über die Lippen bringen. Weil ich selber weiß: es braucht nach solchen Erlebnissen lange, um ins Leben zu finden, um am Morgen wieder gut gestimmt aufzustehen.
Aber dann redet meine Mitarbeiterin weiter. Sie erzählt, wie sie die letzten Tage erlebt hat. Wie sie die letzten Tage überlebt hat. Und was ihr geholfen hat. Geholfen hat es ihr, mit anderen zusammen zu sein, mit anderen zu sprechen. Sie hat geredet, sagt sie. Immer wieder gesprochen. Mit Freundinnen und Freunden, mit Eltern und Geschwistern. Sie hat sich mit immer wieder mit den Familien der beiden Toten getroffen. Und dann waren sie zusammen still und haben immer wieder geredet. Und alle haben Zeit gehabt – für Fragen, Trauer, Wut und Leere. Und es bleibt ja vieles offen, nach dem Tod. Viele Fragen: Warum gerade dieser Mensch? Oder: Habe ich schuld, hätte ich etwas sagen, bemerken, tun können? Oder: Was mache ich jetzt mit diesen abgebrochenen Beziehungen? Wie gehe ich mit dem um, was für immer ungeklärt und unausgesprochen bleibt?
Fragen, die sich nicht lösen lassen. Aber im Zusammensein, im Miteinander-Sprechen und Schweigen, lässt es sich langsam, Schritt für Schritt, mit ihnen leben. Das erlebt meine Mitarbeiterin.
Und sie erzählt weiter. Dass sie gemerkt hat, wie sich in einer solchen Extremsituation die Gewichte verschieben. Kleinigkeiten zählen plötzlich nicht mehr. Streitereien oder Rechthabereien um Unwesentliches werden egal. Gegenüber dem Tod ist das alles Kleinkram. Was jetzt zählt ist das Miteinander. Was jetzt zählt ist die gemeinsame Trauer und das Sprechen. Sie hat erfahren: Wir zerbrechen uns oft genug um Nichtigkeiten den Kopf. Und vergessen, dass jederzeit, ganz plötzlich der Tod dazwischen kommen kann. Diese Erfahrung will sie mitnehmen, in den nächsten Tag, in ihr Leben mit dem Tod.

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