SWR3 Gedanken

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Die Experten für die psychischen Abgründe des Menschen sind gleich zur Stelle, wenn etwas Furchtbares passiert. Sie sollen uns dann erklären, was sich so schwer nur erklären lässt. Warum etwa ein unauffälliger Schüler plötzlich ausrastet und zum blindwütigen Killer wird. Oder warum andere einen Menschen in aller Öffentlichkeit tot prügeln. Jede noch so kleine Information saugen wir dann begierig auf, in der Hoffnung, eine Antwort auf die bohrende Frage zu finden: Was war bloß mit dem los? Beruhigend, wenn wir uns dann sagen können: Der hatte wohl irgendeinen Defekt. Neurologisch, psychisch, sozial, wie auch immer. Hauptsache, irgendwas bei ihm war nicht normal und wir können wieder zur Tagesordnung übergehen. Dennoch: Ein Rest Unbehagen bleibt, weil da noch etwas ist, das sich nur schwer erklären lässt.
Er war von einem Dämon besessen hätte wohl eine gängige Antwort zur Zeit der Bibel geheißen. Dunkle Mächte mussten am Werk sein, wenn einer so derart aus der Spur gerät. Eine Erklärung, die uns aufgeklärten Zeitgenossen natürlich nicht weiter hilft. Oder vielleicht doch? Könnte sie nicht eine bildhafte Umschreibung dafür sein, dass prinzipiell jeder von uns auch dunkle Seiten – oder anders gesagt - die Fähigkeit zum Bösen in sich trägt? Dass es wohl ganz viel mit unserer Erziehung und Bildung, unserer Kultur und unserer Religion zu tun hat, dass wir die dunklen Seiten in uns beherrschen und deshalb in Frieden miteinander leben können? Beginnt all das nämlich zu bröckeln, dann verlieren Menschen schnell den Halt. Die verstörenden Folterbilder aus dem US-Militärgefängnis Abu Ghraib im Irak stehen vielen von uns wohl noch vor Augen. Dagegen steht freilich die unerschütterliche Zuversicht aller Religionen, dass jeder von uns eben auch den Willen zum Guten in sich trägt. Ob wir ihn aber verwirklichen können, hängt wesentlich von den äußeren Lebensbedingungen ab und die gehen uns alle an.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=7006
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