SWR2 Wort zum Tag

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Nachdenken über den Reformator Philipp Melanchthon und seine spirituellen Impulse für heute, Dr. Maria Meesters zusammen mit dem Melanchthonexperten Dr. Günter Frank.

Im April 2010 ist der 450. Todestag eines bedeutenden Reformators, des in Bretten geborenen Philipp Melanchthon. Aus diesem Grund beginnen die evangelischen Kirchen heute ein Melanchthonjahr.
Wer Melanchthon war, was er getan hat, darüber weiß Dr. Günter Frank eine Menge zu sagen, der als Katholik seit 10 Jahren in Bretten das Melanchthonhaus leitet und von dort eine der ganz wichtigen Schriften Philipp Melanchthons mitgebracht hat.

Ja, ich habe hier die Bekenntnisschrift der Evangelischen, wie sie im Jahre 1530 vor dem Kaiser auf dem Augsburger Reichstag verlesen wurde und zwar in der ersten deutschen Übersetzung, also Konfessio oder Bekenntnis des Glaubens.
Dieses Dokument ist die 1. Bekenntnisschrift der Evangelischen und damit auf der einen Seite die Grundlage der Trennung des westlichen Christentums. Auf der anderen Seite aber möglicherweise auch die Grundlage einer neuen Einheit des Christentums.


Inwiefern Trennung, inwiefern Einheit?

Weil über diese Bekenntnisschrift 1530 keine Einigkeit erzielt werden konnte zwischen der römischen Seite und der Seite der Wittenberger Reformatoren. Aber in den letzten 5 Jahrzehnten haben wir innerhalb der ökumenischen Bewegung ein solches gemeinsames Verständnis der Anliegen der Reformation, der damals notwendigen Reformen gewonnnen, dass es nicht wenige ernsthafte katholische Theologen auch gibt, die die Meinung vertreten, dieses könnte ein Bekenntnis des gemeinsamen Christentums sein.

Ich habe gelesen, dass auf dem Reichstag eine Verteidigung erwartet worden ist, und stattdessen hat Philipp Melanchthon ein Bekenntnis mitgebracht zum Reichstag.

Die Aufgabe Philipp Melanchthons auf dem Reichstag war:
Er sollte einmal jene Glaubensartikel zusammenfassen, die für das Selbstverständnis der Evangelischen von unabdingbarer Bedeutung sind. Und das sind jene 24 Artikel, die in diesem Bekenntnis, in der Confessio Augustana, niedergeschrieben sind.


Sie haben da also ein 500 Jahre altes Buch mitgebracht und ein Buch, das uns unter Umständen. heute helfen kann bei ökumenischen Bemühungen?

Im Jahre 1980 gab es verschiedene Verständigungsgespräche zwischen den Konfessionen, vor allen Dingen lutherischerseits und katholischerseits, mit der Frage, ob die Confessio Augustana ein solches gemeinsames Dokument des Christentums sein kann, und für namhafte kath. Theologen, die an diesem Gespräch beteiligt waren, ist die Katholizität der Confessio Augustana heute keine Frage mehr.

Man nennt Melanchthon ja den ökumenischsten aller Reformer….

Es liegt an der Confessio Augustana, aber natürlich vor allem an dem Bemühen, das ihn insgesamt ausgezeichnet hat. Ich nehme einfach mal die Formel: das Gemeinsame betonen und nicht das Trennende in den Mittelpunkt zu stellen, und eben sozusagen die Dinge, die uns trennen als unwichtiger zu betrachten, als das, was uns gemeinsam verbindet.
Und dieser Zugang bedeutet ja nicht nur den Versuch, die Einheit des Christentums mit Rom bis zum letzten auch nur denkbaren Moment zu erhalten, sondern sie ja auch zu erhalten zu suchen mit den anderen evangelischen Bewegungen, denn viele vergessen, dass die Reformation ja nicht nur zur Trennung mit der Kirche in Rom geführt hat, sondern auch zu vielfältigen Spaltungen innerhalb der Evangelischen selbst.


Eine der starken Wurzeln seines Wirkens ist ja wohl auch sein Humanismus gewesen. Er war umfassend gebildet in antiken Sprachen, Naturwissenschaften, Philosophie, Kunst, und er ist bei seinem Forschen immer wieder zurückgegangen zu den Quellen.

Ja das ist sicherlich auch eine Basis für sein ökumenisches Denken. Denn der Humanismus aus der Zeit Melanchthons ist ein weltweites Phänomen gewesen. Dieses Phänomen bedeutet zunächst, dass die Humanisten versucht hatten, in den ursprünglichen Quellen und in der Sprache der ursprünglichen Quellen, also vor allen Dingen im Hebräischen und im Griechischen die Texte der antiken Weisheit und der alten Religionen neu sich sozusagen anzueignen.
Es geht um die Aneignung der besten Traditionen unser Kultur, unserer Bildung, unserer Religion, und diese hat Melanchthon sozusagen mit der Reformation zusammenbringen können. Das macht seine Besonderheit aus. Reformation und Humanismus sind bei ihm 2 Seiten der gleichen Medaille.


Eine größere Weite im Horizont, eine größere Weite in der Bildung ermöglicht einen besseren Blick auf die Gemeinsamkeiten.

Genau. Denn Sie müssen daran denken, dass im Jahr 1517, für das Jahr, für das man den Thesenanschlag Luthers annimmt, das Christentum bereits eine Geschichte von 1517 Jahren hinter sich hat, bis zum Leben Jesus nämlich. Und es gilt die gemeinsame Geschichte des Christentums im Blick zu haben mit Höhen und Tiefen, mit Irrungen, Verwirrungen, aber auch mit all dem, was das Christentum positiv ausgezeichnet hat. Die Heiligen wie Augustinus, die auch ungefragt bei den Reformatoren an erster Stelle standen. Das Werden von Universitäten und Städten im Mittelalter, das Werden von Hospitälern, alles das sind ja Ergebnisse unserer christlichen Kultur, die bleibend auch für die Reformatoren zum Kennzeichen des Christentums zählen.

Was fasziniert Sie persönlich an der Gestalt Melanchthons?

Die Universalität. Es gibt eigentlich kein Gebiet, wo Melanchthon keine Spuren hinterlassen hat. Er hat Gedichte geschrieben auf griechisch. Er hat Naturwissenschaft betrieben. Er hat kosmologische Handbücher herausgegeben. Er hat Theologie als Wissenschaft für die Evangelischen so bleibend konzipiert, dass es also bis weit nach der Aufklärung das Modell überhaupt war.

Sie haben angedeutet, dass Melanchthon, dass die Confessio Augustana eine Bedeutung hat heute im ökumenischen Gespräch. Wie kann denn Melanchthon heutigen Menschen ganz konkret glauben helfen? Evangelischen, katholischen; Menschen, die auf andere Weise suchen.

Ich sehe als den wichtigsten ökumenischen Impuls, dass wir die Gemeinsamkeit als das Tragende und uns alle Verbindende in den Vordergrund stellen. Und vor dieser Gemeinsamkeit kann man dann als zweiten Schritt sozusagen noch die Detailprobleme, die Kirchenfrage, die Amtsfrage und andere Detailfragen. Das Verständnis von Tradition und Überlieferung, das Verständnis von Tradition und Hl. Schrift. Die kann man dann angehen, wenn man diese Gemeinsamkeit im Mittelpunkt hat, ist der Umgang miteinander wesentlich einfacher, als wenn man zunächst die sperrigen und scheinbar widersprechenden Aspekte immer wieder betont.

Was kennzeichnet denn seine Gläubigkeit, abgesehen mal von seinen ökumenischen Bemühungen? Was hat Melanchthon für einen Glauben gehabt?

Er hat einen sehr schriftbezogenen Glauben gehabt. Die Hl. Schrift war für ihn die Quelle für sein Tun. Das umso mehr, als er eben aufgrund seiner humanistischen Bildung in den alten Sprachen so bewandert war. Er hat sie im Urtext gelesen und verstehen können.
Und ein so schriftbezogener Glaube, der führt zu einer großen Lebendigkeit in seinem eigenen Glaubensverständnis, und er erleichtert es, sich mit dem Universum des Wissens, das ja auch dazugehört, auseinanderzusetzen wie es in dem Orchester von Wissenschaften gegeben ist.


Wenn sie selber sagen müssten, nach ihrer langen Beschäftigung mit Melanchthon, ob Sie eher katholisch oder eher christlich glauben – was würden Sie sagen?

Ich kann das Thema Melanchthon nicht auf eine Bekenntnisfrage reduzieren. Ich bin als katholischer Theologe auf das Thema Melanchthon unter ökumenischer Absicht gestoßen und habe hier sehr viele Impulse auch für mein eigenes Verständnis als katholischer Christ gefunden. Ich sehe auch in der Gestalt Melanchthons viel mehr Gemeinsamkeiten, als wenn ich alleine nur auf Martin Luther blicken würde. Ich nenne hier nur ein einziges Beispiel: Der Papst Benedikt XVI. hat in seiner berühmten Regensburger Rede dem Protestantismus vorgeworfen, der erste Teil einer Enthellenisierung des Christentums gewesen zu sein und damit jene ursprüngliche fruchtbare Synthese zwischen dem Geist der griechischen Philosophie und dem Christentum aufgehoben zu haben.
Blickt man auf das Wirken der Humanisten, auf das Wirken Melanchthons, wundert man sich über solch eine Auffassung, denn wenige wie Melanchthon haben sich in dieser Zeit gerade um eine neue Begegnung mit dem Geist des Hellenismus bemüht, mit Philosophie, mit Literatur und damit auch Grundlagen gelegt für das, was wir die moderne Zeit genannt haben.
Und das ist eine sehr verbindende Tradition, die ich als katholischer Christ auch für uns Katholiken gerne in Erinnerung halten würde, und das, meine ich, ist auch genauso die Aufgabe der Katholischen Kirche; diese fruchtbare Synthese zwischen Religion und Kultur immer wieder zu bringen
https://www.kirche-im-swr.de/?m=6956
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