SWR2 Wort zum Tag

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Französisches Zeltlager und Leipziger Studentengemeinde

Sommer 1965 – mit Rucksack und Schlafsack brechen wir auf: 15 Mädchen einer katholischen Jugendgruppe auf dem Weg nach Südfrankreich in ein Ferienlager der französischen Pfadfinder. Drei Wochen zelten wir dort, wandern und leben zusammen, bauen gemeinsam weiter an der Infrastruktur des Platzes, sanitäre Anlagen, Küche, Kapelle. Noch finden die Gottesdienste draußen statt, ich lerne französische Gebete und Lieder, die immer wieder von Freundschaft sprechen. Wir diskutieren heiß über Politik und sind elektrisiert von dem Gefühl, dass wir Freundschaft schließen, wo noch vor 20 Jahren Krieg zwischen unsern Ländern war. „Wer kann segeln ohne Wind, wer kann rudern ohn Ruder, wer kann einen Freund verlassen, ohne Tränen zu weinen, sans verser de larmes“ – so singen wir beim Abschied.
10 Jahre später, 1975. Diesmal sind wir ostwärts unterwegs. Acht Studierende der Freiburger Hochschulgemeinde. Es ist September und wir fahren mit 2 Autos nach Leipzig. Während der Leipziger Messe konnte man mit Messe-Ausweis verhältnismäßig unkompliziert einreisen. Trotzdem habe ich Angst, je näher wir der Grenze kommen. Zum Glück findet niemand die theologischen Bücher und die Zeitungen in meinem Gepäck. Sie sind für die Freunde in der Leipziger Hochschulgemeinde bestimmt, mit denen wir die kommenden Tage verbringen werden. Wir reden endlos, singen, schauen Leipzig an, essen zusammen das, was unsere Gastgeber mit großem Organisationstalent besorgt haben, um uns zu bewirten. Und wir reden über Themen, die wir in den Wochen vorher parallel an beiden Orten vorbereitet haben: Was ist Frieden, was ist Glück, wie sieht eine gerechte Wirtschaftsordnung aus? Wir lesen zusammen Texte von Reiner Kunze und Hilde Domin. Und wir feiern Gottesdienst, die Fürbitten kommen uns aus tiefstem Herzen, der Friedensgruß ist ein besonders bewegender Moment.
In der Erinnerung werden mir diese Begegnungen über Grenzen hinweg immer kostbarer. Ich weiß inzwischen, dass sie im Westen wie im Osten unzählige Male stattgefunden haben. Die Kirchen haben Strukturen und Räume dafür geboten, auch Personen, die mit Mut die Treffen inspiriert und organisiert haben. Der Glaube war ein wichtiger Ausgangspunkt, ein Schatz an gemeinsamem Gedankengut, auch an Riten. Wir fühlten uns dadurch verbunden, die Grenzen waren nicht mehr so machtvoll für uns. Manchmal bin ich besorgt, weil heute gemeinsam praktizierter Glaube abnimmt. Denn er hat in den vergangenen 60 Jahren sehr viel verbindende Kraft entwickelt. https://www.kirche-im-swr.de/?m=6906
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