SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Jeder Bürger genießt volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsausübung steht unter dem Schutz der Republik.“
So steht es in der Verfassung der DDR, die bei ihrer Gründung am 7. Oktober 1949 – heute vor 60 Jahren – in Kraft gesetzt wurde. Als ich sie zum ersten Mal gelesen habe, war ich überrascht. Kirchenfeindlich klingt das nicht: Die Kirchen – hieß es – haben das Recht, zu „Lebensfragen des Volkes aus ihrer Sicht Stellung zu nehmen“, sie dürfen Religionsunterricht in der Schule erteilen und in Krankenhäusern und Gefängnissen Seelsorge üben.
Die SED war zu Beginn im Umgang mit den Kirchen vorsichtig. Der Widerstand gegen die Nazis hatte einzelne Christen und Kommunisten verbunden. Die gesellschaftliche Bedeutung Kirchen war zu groß, als dass man sie mit einem Schlag hätte ausschalten können. Die Machthaber sind deshalb einen anderen Weg gegangen. Langsam haben sie in den folgenden Jahren versucht, den Einfluss der Kirche zurückzudrängen: Zuerst mit Angriffen auf die Jugendlichen, die in der Jungen Gemeinde engagiert waren, dann mit der Einführung der Jugendweihe, um die Konfirmation zu ersetzen. Die staatlichen Steuerlisten standen bald nicht mehr für den Einzug der Kirchensteuer zur Verfügung, der Religionsunterricht in der Schule durfte erst mit einem zeitlichen Abstand zum regulären Unterricht stattfinden.
Das alles ist nicht ohne Wirkung geblieben. In der neuen DDR-Verfassung von 1968 kamen die 1949 ausdrücklich gewährten Rechte der Kirche einfach nicht mehr vor – die Verfassung wurde an die realen Verhältnisse angepasst.

Lohnt es sich, fast 20 Jahre nach dem Ende der DDR daran zu erinnern? Ich glaube ja. Natürlich ist die Situation heute völlig anders. Wir leben keineswegs in einem kirchenfeindlichen Staat. Und trotzdem habe ich den Eindruck, dass es gesetzliche Regelungen zur positiven Religionsfreiheit gibt, die vielleicht bald sang- und klanglos verschwinden könnten, einfach weil sich die gesellschaftliche Realität verändert. Nun kann man, zugegeben, über den Sinn von, zum Beispiel, Religionsunterricht, Sonntagsschutz oder auch kirchlichen Worten zum Tag im Radio durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Wer aber denkt, dass diese Dinge gut so geregelt sind, der sollte sie nutzen und sich für ihren Erhalt einsetzen – bevor der Eindruck entsteht, dass niemand mehr so etwas braucht.

Denn: Wer weiß, wofür es noch einmal gut sein kann! In den Wendejahren haben viele Menschen in der DDR die Kirchen und den Rest von Schutz, den das Gesetz den Kirchen noch bot, wieder gebraucht – als Schutzräume, in denen kritische Gedanken laut werden konnten.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=6883
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