SWR2 Wort zum Tag

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„Sei wie das Veilchen im Moose, sittsam, bescheiden und rein – und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein.“ Als ich neulich mein Poesiealbum aus der Grundschulzeit in der Hand hatte, habe ich mich gewundert, was für Weisheiten mir die Klassenkameraden mit Hilfe ihrer Eltern mit auf den Weg gegeben haben. Die Achtundsechziger und ihre Ideen hatten Gesellschaft und Erziehung damals schon gründlich verändert – der Spruch fürs Poesiealbum hat das alles offenbar unbeschadet überstanden.
Für mich ist das ein Zeichen, wie langlebig manche Erziehungsmaximen sind. Sei bescheiden, spiel dich nicht in den Vordergrund, andere können es wahrscheinlich besser – mit diesen Ermahnungen sind Generationen von Kindern, vor allem Mädchen, zur Zurückhaltung erzogen worden: Lieber nicht zu laut sagen, was man kann oder weiß, es könnte Anstoß erregen oder andere verunsichern.

Jesus hatte eine andere Vorstellung. „Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt“ hat er in der Bergpredigt denen gesagt, die ihm gefolgt sind. Auf euch, auf eure Ideen und Fähigkeiten, ist die Welt angewiesen. Lasst euer Licht leuchten vor den Leuten und stellt es nicht unter den Scheffel!

Sicher, in manchen Bereichen der Gesellschaft hat sich heute eine Umgangsweise entwickelt, wo eine Kultur der Bescheidenheit schon wieder hilfreich wäre. Konkurrenten ausstechen, Ellenbogen einsetzen, sich möglichst gut verkaufen, das mag in manchen Wirtschaftszweigen überlebenswichtig sein – Jesus hat es so sicher nicht gemeint, wenn er sagt, dass wir das Salz der Erde und das Licht der Welt sind. Es geht nicht darum, sich auf Kosten anderer zu profilieren. Aber es geht darum, mutig zu sein und die eigenen Fähigkeiten nicht zu verstecken, sondern zu nutzen – auch für andere.

Nelson Mandela hat das in seinen Worten einmal so ausgedrückt:

„Wenn du dich klein machst, dient das der Welt nicht. Es hat nicht mit Erleuchtung zu tun, wenn du schrumpfst, damit andere um dich herum sich nicht verunsichert fühlen.
Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes zu verkündigen, die in uns ist. Sie ist in jedem Menschen. Wenn wir unser Licht erstrahlen lassen, geben wir unbewusst anderen Menschen die Erlaubnis dasselbe zu tun. Wenn wir uns von unserer Angst befreit haben, befreien wir ohne unser Zutun auch andere.“


Vielleicht schreibe ich das meiner Tochter später mal ins Poesiealbum.
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