SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken


Bahnsteig 3, Hauptbahnhof Kaiserslautern. Eine Handvoll Menschen wartet auf den Zug, der in wenigen Minuten eintreffen soll. Da plötzlich die Stimme aus dem Lautsprecher. Der Zug hat Verspätung. Vorneweg eine halbe Stunde. Resigniert seufze ich. Und sehe auch auf den Gesichtern meiner Mitreisenden Ungeduld und Verärgerung. Alle Pläne sind über den Haufen geworfen, der Vormittag ist gelaufen.

Ich setze mich auf die Treppe und lasse meine Blicke wandern. Merke gar nicht, dass ich eine junge Frau beobachte, die ihr Kind zu beruhigen versucht. Der Kleine hat Hunger, wie es scheint. Und die Mutter hat nichts für ihn, wie es scheint. Eine ältere Frau öffnet zögernd ihre Einkaufstasche und zieht eine Banane heraus. Reicht sie der Mutter. Der Kleine grapscht gierig nach der Banane und beißt fast in die Schale. Die beiden Frauen müssen lachen. Und der Kleine lacht mit, auch wenn er nicht weiß, warum.

Auch ich muss lächeln, aber ich weiß, warum. Weil ich in der Kälte eines Bahnsteiges gerade einen Moment von Wärme erlebt habe. Ich denke an die vielen Stunden, die ich schon mit Warten verbracht habe. Verärgert, weil ich schon längst irgendwo anders sein wollte. Und am Ende ganz froh, dass ich nirgendwo anders war. Weil das Warten oft Menschen einander näher bringt. Sie aufmerksam füreinander macht, sie miteinander ins Gespräch bringt.

Christen warten auch. Auf einen neuen Himmel und eine neue Erde. Und das Warten fällt nicht leicht angesichts der alten Erde. Aber selbst auf der alten Erde gibt es Momente von Menschlichkeit, die das Warten erträglich machen. Weil man dann für einen Moment vergisst, dass man wartet. Und einfach da ist, im prallen und guten Leben. Vielleicht sogar mit einem Fuß auf einem Zipfel der neuen Erde. Vielleicht.
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