SWR3 Gedanken

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Wer die Wahl hat, hat die Qual. Sagt ein Sprichwort. Spricht sicher so manchem aus der Seele. Gerade in Hinblick auf die Bundestagswahl am kommenden Sonntag. „Wen soll man denn wählen?“, fragt eine Frau auf dem Wochenmarkt. „Die reißen’s doch alle nicht raus.“ Und alle Umstehenden nicken beifällig mit dem Kopf. Wozu wählen? Die reißen’s doch alle nicht raus.

Bei der letzten Bundestagswahl im Jahr 2005 gingen gerade mal 77, 7 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne. Das niedrigste Ergebnis in unserem Land seit Einführung der Demokratie. Fast ein Viertel aller volljährigen Deutschen ließ vor vier Jahren den Dingen ihren Lauf. Die meisten davon mit der Begründung, dass ihre Stimme ja auch nichts ändern könne. Weil keiner etwas ändern kann.

Dennoch werde ich am Sonntag wählen gehen. Schon allein deshalb, weil wir in einer Demokratie leben. In einer Staatsform, in der das Volk entscheidet, von wem es regiert werden will. Und wenn das Volk diese Entscheidung nicht mehr treffen will, dann geht die Demokratie vor die Hunde. Und die Alternativen sind wahrhaft gruselig.

Als deutsches Volk kennen wir die Monarchie und die Diktatur. Und haben hoffentlich unsere Lektion gelernt. Ich möchte keinen Kaiser, dem mein Geschick vollkommen gleichgültig ist. Und ich möchte keinen Diktator, der mich nur benutzt um seiner Macht willen. Ich möchte Politiker, denen ich mein Vertrauen schenken kann, weil sie mein Geschick im Blick haben. Und die nur deshalb Macht wollen, um mein Geschick zum Guten zu wenden. Das möchte ich.

Ob am kommenden Sonntag das Realität wird, was ich möchte, das weiß ich nicht. Und ob die Politiker, die gewählt werden, es in den nächsten vier Jahren rausreißen, weiß ich erst recht nicht. Aber wenn ich gar nicht erst zur Wahl gehe, reißt es das ganz bestimmt nicht raus. Oder um es mit dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch zu sagen: „Die Würde des Menschen besteht in der Wahl.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=6810
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