SWR2 Wort zum Tag

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„Deutschland ist Missionsland geworden“ – so hatte als erster Alfred Delp diagnostiziert vor über 60 Jahren. Jetzt begehen wir seinen 100. Geburtstag. Längst ist unsere Gesellschaft nicht mehr christlich geprägt. Zwar zechen wir noch auf die Kreide des Christentums, und manches aus den Evangelien ist zum fast selbstverständlichen Gedankengut geworden – z.B. die Menschenrechte oder das Prinzip der Solidarität. Aber die Kirchen verlieren Mitglieder und Einfluss, die Christen werden eine Minderheit. Die einen bejammern das, die anderen sehen darin eine große Chance. Zu ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, gehört hellsichtig auch Alfred Delp. Gerade aus Liebe zur Kirche hat er sie kritisiert wie kaum einer in der jüngeren Geschichte. „Wir haben durch unsere Existenz den Menschen das Vertrauen zu uns genommen. 2000 Jahre Geschichte sind nicht nur Segen und Empfehlungen, sondern auch Last und schwere Hemmung und gerade in den letzten Zeiten hat ein müde gewordener Mensch in der Kirche auch nur den müde gewordenen Menschen gefunden. Der dann noch die Unehrlichkeit beging, seine Müdigkeit hinter frommen Worten und Gebärden zu tarnen.“ (IV 318f) So schreibt er im Gefängnis in einer Art Testament über das Schicksal und die Zukunft der Kirchen. Er fordert den radikalen, selbstlosen Einsatz für andere, den Abschied von kirchlicher Vereinsmeierei. Vor allem ist ihm die Bürokratisierung und Verbürgerlichung der Kirche ein Dorn im Auge. „Dass da ein Menschentyp geworden ist, vor dem selbst der Geist Gottes, man möchte sagen, ratlos steht und keinen Eingang findet, weil alles mit bürgerlichen Sicherheiten und Versicherungen verstellt ist, darf nicht nur als Erscheinung der Vergangenheit gewertet werden. Dieser Typ lebt noch.“ (IV 299) So heißt es in seiner Meditation über den pfingstlichen Hymnus zum Heiligen Geist.
„Die Kirchen“, so schreibt Delp, „scheinen sich... durch die Art ihrer historisch gewordenen Daseinsweise selbst im Wege zu stehen. Ich glaube, überall da, wo wir uns nicht freiwillig um des (wahren) Lebenswillen von der (gewohnten) Lebensweise trennen, wird die geschehende Geschichte uns als richtender und zerstörender Blitz treffen. Das gilt sowohl für das persönliche Schicksal des einzelnen kirchlichen Menschen wie auch für die Institutionen und Brauchtümer. Wir sind trotz aller Richtigkeit und Rechtgläubigkeit an einem toten Punkt. Die christliche Idee ist keine der führenden und gestaltenden Ideen dieses Jahrhunderts. Immer noch liegt der ausgeplünderte Mensch am Wege.“ (IV 321) Im Bild vom Mitmenschen, der unter die Räuber gefallen ist, formuliert Delp den Auftrag der Christen und der Kirchen. Wie der Samariter im Evangelium, so sollen sie die Zeichen und Nöte der Zeit aufgreifen. Wo Christen und Kirchen dazu nicht bereit und fähig sind, geraten sie ins Abseits und, schlimmer noch, sie verstellen das Evangelium.


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