SWR2 Wort zum Tag

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Sind Ruinen nur stumme Zeugen einer vergangenen Zeit? Sind Ruinen nur ruinierte Bauwerke? Nur Überreste einstiger Schönheit und Größe?
Im Sommer habe ich eine überraschende Entdeckung gemacht. Bei einem Besuch in Greifswald wollte ich auch die Reste der Klosteranlage Eldena - vier Kilometer vor der Stadt - besichtigen. Meine Erwartungen waren durch eine Reisebeschreibung gedämpft: Eine rote Ampelphase an der Kreuzung würde genügen - dabei könne man alles sehen, was es da zu sehen gäbe. Eine übrig gebliebene Westfassade – mehr nicht. Alles andere, was man sonst mit Eldena verbindet, das wären nur romantische Überhöhungen – fußend auf den vielen bekannten Gemälden von Caspar David Friedrich. So sei die Klosterruine zwar in Erinnerung - aber das habe nichts mit der Wirklichkeit heute zu tun.

Ganz anders mein Eindruck. Ich war hin und weg. Wie da Säulenstumpfe quasi aus dem Boden wachsen und einen Kirchenraum erahnen lassen – dazwischen Bäume. Die Wände des Ostflügels erhalten, erkennbar noch Chorseitenkapellen. Backsteingotik, Mauerwerk – Ziegel, die im Sonnenlicht in abertausenden Terrakotta Tönen warm leuchten. Ohne ein Dach! Über allem der blaue Himmel. Rasen in der Kirche und vor Kirche, leuchtend grün.
Keine Wehmut über vergangene Pracht! Sondern ich hatte das gewisse Empfinden: das ist ein Ort, wo ich Ruhe finden kann. Ein Ort der Konzentration, der Meditation. Ergreifend. Ich verstehe Caspar David Friedrich, den Sohn der Stadt Greifswald, dass er die Klosterruine Eldena x-fach gemalt hat – in immer neuen Variationen, ja sie sogar in seinen Bildern in andere Landschaften versetzt hat – ins Riesengebirge z.B. Gerade so, als wäre diese Ruine ein Vorbild für einen spirituellen Ort.
Eine Klosterruine – von der ein besonderer Charme ausgeht - für mich ein Raum, der mir Raum lässt und Raum gibt für eigene Empfindungen. Nicht zugestellt mit Plakaten und Mitteilungswänden, wie sie mir für mein Empfinden in Kirchen und anderen öffentlichen Gebäuden oft buchstäblich im Weg stehen.
Ein Raum – nichts als ein Raum. Ein leerer Raum, der „minimal art“ geistig verwandt - ohne Bilder und Figuren. Ein offener Raum – und darin ein eröffnender Raum. Ein Ort, der offen ist – für mich – vor Gott.
Ob andere Räume – private und öffentliche - auch leerer werden müssten – um solchen Empfindungen Raum zu geben, das habe ich mich gefragt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=6785
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