Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Das kann ich ihm nie vergeben. Niemals. Er hat mir mein Leben zerstört.“ Sie saß mir gegenüber und lächelte. Dabei hat sie eben grad eine furchtbare Geschichte erzählt. Die ich hier gar nicht wiederholen will. Dass sie Opfer einer bösen Tat geworden ist, ist schon viele Jahre her. Und doch: Das kann ich ihm nie vergeben. Dabei ist sie Christin. Würde gern vergeben. Aber kann es nicht.

Ja, ich glaube, es gibt Dinge, die kann man nicht einfach so vergeben. Auch wenn man noch so sehr verstanden hat, wie und warum man Opfer eines Verbrechens geworden ist. Es gibt Dinge, die bleiben schlimm und ungerecht. Die Bibel sagt: Am Ende der Zeit wird Gott Gerechtigkeit schaffen. Das ist tröstlich. Aber was ist bis dahin?

Mir hilft da immer wieder das Vater Unser. In einer Bitte geht es auch um die, die an uns schuldig geworden sind. Im Vater Unser jedoch stehen wir mit ihnen in einer Reihe. Da heißt es: vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Will sagen: Erst kommt die Sorge um die eigene Schuld. Dann die um die Schuld der Anderen. Eine Zumutung, ich weiß.
Aber- es nicht darum, fremde Schuld durch die eigene klein zu reden. Es geht darum, die Perspektive zu wechseln.
Das Vater Unser empfiehlt uns, die Rolle des Opfers hinter uns zu lassen. Und sich selbst als Täter zu sehen. Als Täter des eigenen Lebens. Verantwortung zu übernehmen.

Auch wenn die Kindheit nicht schön war, auch wenn ich Opfer eines Verbrechens bin: Ich bin so frei und übernehme die Verantwortung dafür, was aus mir werden soll.

Ich bin so frei, die zu enttäuschen, die mir Böses wollten. Ich bin so frei, dafür zu sorgen, dass es mir gut geht. Dabei werde ich natürlich andere verletzen, ihnen unterstellen, dass sie Böses wollten.
Und deshalb: Vergib uns unsere Schuld. Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Überlassen wir Gott die Schuld vergangener Tage. Und leben das neue Leben, das in der Zukunft auf uns wartet.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=6771
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