Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Wie hast du das nur gemacht? Meine Tochter lächelt mich an. Was gemacht? - Ja, so locker bleiben damals, als wir Kinder waren? Ich verstehe immer noch nicht. Also die Eltern von meinem Patenkind, erzählt sie weiter, die sind fix und fertig, dabei haben sie nur ein Kind. So gereizt warst du nie, sagt sie. Wie hast du das nur gemacht?

Ach, sage ich und lasse mir Zeit. Den Moment muss ich auskosten. Wie war das noch vor wenigen Jahren? Da sagte dieselbe Tochter: Wenn ich mal groß bin, dann bin ich nie gereizt und spiele mit meinem Kind ganz lange. Und da saß ich dann mit meinem ohnehin schon schlechten Gewissen. Weil ich nicht so war wie all die Mütter aus der Werbung. Die immer mit ihren Kindern spielen und backen und einen Schokoriegel parat haben. Und die auch dann noch lachen, wenn die kleine Saubande den frisch geputzten Flur eindreckt.

Bei mir war das nie so. Und seltsamerweise bei denen, die ich kenne, auch nicht. Da wird schon mal geschimpft und geschrieen. Da gehen einem die Gäule durch, weil die Nerven blank liegen. Im wirklichen Leben muss man manchmal Dinge tun, die einem selber wehtun. Die Kinder heulend im Kindergarten zurücklassen, weil man nun mal noch eine Arbeit hat. Sie morgens in die Kälte rausschicken mit schlotternden Knien zur Klassenarbeit. Als Chef im Beruf muss man Leute abmahnen, wenn sie Mist bauen, oder sie in die Kurzarbeit schicken, wissend, dass die Familie darunter leiden wird. Im wirklichen Leben muss man Leuten weh tun. Oder tut es, weil man es nicht besser hinkriegt.

Kurzum: Im wirklichen Leben wird man schuldig- an anderen, an sich selber. Und nicht zuletzt an Gott. Warum? Weil man doch so gern perfekt wäre. Weil man doch kaum ertragen kann, etwas falsch gemacht zu haben und alles dafür tut, es wegzuerklären oder wegzuwischen- als Opfer der Umstände sozusagen.

Im wirklichen Leben aber haben wir einen Gott an unserer Seite, der uns sein lässt, wie wir sind. Der uns liebt und annimmt mit unserer Schuld. Kaum zu glauben. Und kaum zu glauben, dass eine Tochter die Mutter liebt mit all ihren Fehlern. Wenn sie erwachsen wird und im wirklichen Leben angekommen ist.
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