SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Ich tu mich sehr schwer mit der Bibel“, hat eine Bekannte zu mir gesagt. Und hinzugefügt:
„Ich würde mich gern näher mit der Bibel befassen, aber ich weiß nicht wo anfangen. Und überhaupt, oft
ist sie ein Buch mit 7 Siegeln.“
Ich kann das gut verstehen. Die Bibel ist in der Tat kein Buch, das man lesen kann wie einen neuen Roman. Einfach von vorne. Aber ich glaube, man kann sich ihn sie hinein lesen.
Wenn ich anfangen sollte, ich würde mit einem der Evangelien beginnen. Mit Lukas vielleicht. Ich finde, er
ist ein wirklich großer Erzähler. Oder mit Johannes. Um ihre Geschichten zu lesen, muss man nicht gläubig sein, nur neugierig. Neugierig lesen? Eine Besonderheit an der Bibel ist: in ihr wird meistens sehr knapp erzählt. Vieles wird nicht ausdrücklich gesagt, sondern spielt sich zwischen den Zeilen ab: Was könnten die Menschen gedacht und gefühlt haben? Was hat sie umgetrieben?
Nur wenig davon wird gesagt: Ich glaube, mit Absicht. Die Bibel lässt viel Platz zwischen den Zeilen, damit
ich mich sich selbst hinein lesen kann. Man darf die Bibel ganz unverschämt persönlich lesen. Eigene Lebenserfahrungen, Zorn, Resignation, Kummer, Freude hinein lesen.
Nehmen Sie ein Beispiel aus dem Johannesevangelium: Da fängt eine Geschichte ganz lapidar an:
„In Jerusalem ..gibt es einen Teich. Dort lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte. Ein Mensch lag
dort krank seit 38 Jahren.“

Krank seit 38 Jahren. Ein menschlicher Abgrund. Wie tief er ist, das muss ich als Leser selbst in mir aufspüren. Die Bibel selbst erzählt direkt weiter.
„Als Jesus den liegen sah, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden?“
Ist diese Frage nicht unverschämt? Oder ist sie vielleicht genau der heilende und heilsame Weckruf für jemanden, der sich längst mit allem abgefunden hat?
„Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt.. Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh!. Und sogleich wurde der Mensch gesund.“
Sicher ist mir diese Lösung fremd, mirakulös. Aber ich begreife auch:
In diesen Mann kommt neues Leben, weil ihn, den völlig in der Krankheit gefangenen, jemand anspricht und
so Lebensquellen weckt, die verstopft waren. Ich höre daraus: Wir Menschen können einander heilsam sein, wenn wir an neue Möglichkeiten glauben. Und man muss das für einander tun, wenn einer für sich selbst das nicht mehr kann. https://www.kirche-im-swr.de/?m=6744
weiterlesen...