Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Wie hältst du’s mit der Religion?“ So lautete die Gretchenfrage aus Goethes Drama Faust. Das Mädchen Margarete, genannt Gretchen, stellt die Frage dem Faust, der sie umwirbt. Der weicht aus. Religion sieht er kritisch, aber er begehrt dieses Mädchen.
Im Drama des Dichterfürsten Goethe ist die Frage noch wichtig, zumindest für Margarete. Heute dagegen hat sie an Bedeutung verloren. RHeute gilt: Jeder kann glauben, was er oder sie will, solange es niemandem schadet und keine Grundrechte eingeschränkt werden. Ich finde diese Toleranz wichtig und gut. Klar, ich kann trotzdem als Christ andere Religionen und Glaubensrichtungen kritisch sehen, kann mich mit anderen über Religion auseinandersetzen. Aber zuerst gilt der Respekt vor dem Anderen und seiner Position. Religion ist heute, zum Glück, eine Frage der Überzeugung, nicht der Überredung und schon gar nicht der Gewalt. Das hat nicht jede Kultur so verstanden. Das musste erst mühsam erkämpft werden.
Zum Beispiel auf dem ersten Reichstag zu Speyer vor gut fünfhundert Jahren. Ja, hier in Rheinland-Pfalz wurde ein wichtiger Grundstein für die religiöse Toleranz gelegt. 1521, auf dem Reichstag zu Worms, verbot der Kaiser noch, die Werke Martin Luthers zu lesen oder zu verbreiten. Martin Luther und seine Anhänger wurden geächtet, für vogelfrei erklärt.
Fünf Jahre später, auf dem ersten Reichstag zu Speyer 1526, wird dieser Beschluss teilweise aufgehoben. Jeder Fürst, so beschloss der Reichstag heute auf den Tag genau vor 483 Jahren, sollte es mit der Religion so halten, wie er es vor Gott und dem Kaiser verantworten könne.
Leider ist das nicht das Ende der Geschichte. Der blutige dreißigjährige Krieg wird noch im Namen der Religion geführt. Aber in Speyer wird deutlich. Religion lässt sich nicht bestimmen und von oben erzwingen. Das ist gut – aber das Erbe dieser Entscheidung tragen wir noch heute. Denn seitdem ist die Frage „Wie hältst du’s mit der Religion?“ auch schwerer geworden. Im ausgehenden Mittelalter hat man eben geglaubt, was alle glaubten. Jetzt ist von mir eine Entscheidung gefordert. Ich kann mich nicht darauf zurückziehen, dass ich sage: Ich mach es einfach so, wie andere mir sagen. Ich selbst muss mich zum Glauben stellen. Egal was ich glaube – ich muss für mich einen Standpunkt finden. Den christlichen finde ich da nicht den schlechtesten.

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