Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Abgehängtes Prekariat“ – Sie kennen sicher dieses Wort. Seit ein paar Wochen geistert es durch die Medien. Gemeint sind damit: arme Leute, sogenannte Unterschicht. Menschen ohne Arbeit, ohne Zukunft, Menschen ohne Hoffnung. Und dazu meist noch mit vielen weiteren Problemen behaftet: Alkohol und familiäre Gewalt. Acht Prozent unserer Mitmenschen hat es inzwischen getroffen.
Wenn einer kaum mehr die Hoffnung hat, sein Schicksal wenden zu können. Wenn er zu denen gehört, die nicht mehr gebraucht werden, ausgestoßen… durch den Maschendraht der Gesellschaft gefallen... Wie sollen wir mit ihm umgehen?
Es genügt nicht, entsetzt zu sein, wenn ein solches Schicksal an die Öffentlichkeit gelangt wie kürzlich in Bremen. Das genügte übrigens auch damals nicht bei der Geschichte vom blinden Bartimäus aus der Bibel. Der nämlich – seine Sehbehinderung hat ihm zum „abgehängten Prekariat“, zum Bettler gemacht – … der nämlich macht mitten im Gewühl der Stadt auf sich aufmerksam: Ruft nach Jesus, als dieser vorbei kommt – he, hallo: Hilf mir!! – und als man ignorieren will, da schreit er noch lauter.
Und schon sind die anderen da, die ihm am liebsten das Maul verbieten würden. Geh weg, verschwinde, dein Elend ist uns zuwider. Doch Jesus fragt ihn nach seinem Wunsch. Da antwortet dieser: "Ich möchte wieder sehen können." Sehen können. Da geht’s nicht nur ums Augenlicht. Dem Bartimäus geht es auch darum, dass er wieder dazu gehört: Dass er Anerkennung findet, dass er etwas leisten kann. Dass er eine Zukunft hat und eine Hoffnung.
Sehen lernen müssen übrigens die anderen auch: die, die den Bettler ignorieren wollten. Müssen genau hinschauen lernen, und müssen die eigene Blindheit überwinden, müssen sich anrühren lassen.
Und wir, die 92 Prozent, denen es (noch) ganz gut geht, müssen auch überlegen lernen, was hier denn falsch läuft, dass immer mehr Menschen von der Armut bedroht werden. Und die Stimme müssen wir erheben, wie jener Bartimäus, und laut werden.
Und hören müssen wir, hören, wie die Armen rufen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=66
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