SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Nur keine Angst vor der Wahrheit! Sie wird auch in diesem Wahlkampf nicht das Licht der Welt erblicken." So stand es kürzlich in der Zeitung. Sie würde wehtun, hieß es weiter, die Wahrheit über unser Land, schrecklich wehtun. Und weil der Bürger vernünftigerweise niemanden wählt, der ihm wehtut, wird die Wahrheit standhaft verschwiegen.

Ja – wenn es nur so einfach wäre, die Wahrheit zu sagen, höre ich manchen Betroffenen einwenden. Wie kann ich etwas bewirken, wenn ich nicht gewählt werde? Wie soll ich die Gunst der Wähler gewinnen, wenn ich von Verzicht, von geteilter Arbeit und geteiltem Lohn, von einer neuen sozialen Kultur predige?

Und das ist ja nicht nur im politischen Geschäft ein Dilemma. Manchmal erlebe ich Situationen, in denen die Wahrheit zunächst einmal mehr Schaden als Nutzen anrichten würde. Wer sagt der Kollegin, die stolz ihr neues Kleid vorführt: Du siehst darin nicht vorteilhaft aus? Wie bringe ich dem Freund bei, dass er sich mit seinen Witzen blamiert? In Amerika gibt es inzwischen Agenturen, die es übernehmen, solche unangenehmen Wahrheiten schonend zu überbringen.

Wahrheit kann wehtun. Und doch kenne ich Menschen, die die ungeschönte Wahrheit über sich wissen wollen. Schwerkranke zum Beispiel. Sie brauchen keine halbherzigen Versprechungen, sonder sie wollen Klarheit über sich selbst, damit sie planen und handeln können. Und genau aus diesem Grund fordert die Bibel dazu auf, die Wahrheit zu sagen.
„Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind.“
Sagt es anderen und lasst es euch sagen, wie es steht, denn nur so habt ihr die Möglichkeit, Leben und Beziehungen neu zu gestalten.

Natürlich spielt es eine große Rolle, wie die Wahrheit gesagt wird. „Wahrheit, die nur weh tut, ist nicht wahr genug“, heißt es. Menschen, die anderen die Wahrheit sagen, wirken häufig arrogant, als selbstgerechte Besserwisser.
Wer anderen die Wahrheit sagen will, muss wohl auch selbst die Wahrheit über sich aushalten können. Wer anderen den Spiegel vorhält, muss zuerst selbst hineingeschaut haben.
Und selbst dann muss er damit rechnen, dass andere die Wahrheit nicht hören wollen.

Die Wahrheit zu sagen, ohne nur zu verletzen – es scheint fast unmöglich.
Aber vielleicht gibt es sie ja doch, Zeitgenossen, die das Unmögliche versuchen.
Ganz sicher gibt es Menschen, die auf sie hören und daraus die nötigen Schlüsse ziehen.
Nur keine Angst vor der Wahrheit.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=6598
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