SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ich streite eigentlich nicht gern, aber wenn es mal richtig zur Sache geht, dann ist eines klar: Wenn ich etwas an den Kopf geworfen bekomme, dann muss das, was ich zurückgebe, auf jeden Fall größer sein, treffender, verletzender.
Schon das alte Testament hat es da mit Regeln versucht: Wenn Dir einer einen Zahn ausschlägt, dann fordere von ihm auch nur einen Zahn. Wenn Dir einer ans Auge geht, dann geh’ auch Du ihm nur ans Auge, nicht mehr. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.
Doch Jesus will in seiner Bergpredigt noch mehr. Was er fordert, das entspricht überhaupt keiner menschlichen Logik mehr: „Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin. Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel. Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm.“
Was Jesus da fordert, kommt mir erst mal ganz schön unrealistisch vor. Will er mich provozieren?
Angenommen, ich handle tatsächlich so, wie Jesus es fordert. Was passiert dann? Ein Streit ist so eskaliert, dass mir jemand eine Ohrfeige gibt. Angenommen ich schlage nicht zurück und halte ihm auch nicht mit einem überheblichen Grinsen die andere Wange hin. Sondern ich frage ihn: „Hilft es Dir, wenn ich Dir jetzt auch noch die andere Seite hinhalte?“ Möglich, dass ich mich dadurch etwas lächerlich mache, aber wahrscheinlich kommt uns beiden der ganze Streit dann doch ziemlich absurd vor. Und Jesus wirkt auf einmal wie ein moderner Konflikttrainer: Das „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ist nicht mehr wichtig, auch wenn man sich dabei um noch so viel Gerechtigkeit bemüht. Jesu fordert dazu auf, kreativ mit Konfliktsituationen umzugehen und zu fragen: Was bringt uns gemeinsam weiter? In der großen Politik könnten wir genau diese Kreativität brauchen, in Israel und Palästina, in Sri Lanka und an vielen anderen Orten. Und auch unseren bundesdeutschen Politikern wünsche ich, dass sie nicht immer auf der Oberfläche des Streites oder des Wahlkampfes bleiben, sondern sich wirklich fragen, was gemeinsam zu tun ist.
Doch die Bergpredigt Jesu richtet sich nicht nur an die Politiker, sie taugt auch für meinen Alltag.
Dass mich jemand zwingt, eine Meile mit ihm zu gehen, kann ich mir heute kaum vorstellen. Aber dieses Beispiel führt mich zum Straßenverkehr: Da tut die eine oder andere Deeskalation im Sinne der Bergpredigt ganz gut. Wenn ich nicht auf meinem Recht beharre, sondern auch mal zwei Autos vor mir einfädeln lasse, dem Radfahrer oder Fußgänger die Vorfahrt lasse, obwohl ich dran wäre, dann kann ich nicht nur entspannter fahren. Wenn mir das in so kleinen Dingen gelingt, ist eine andere Forderung Jesu – „Liebet Eure Feinde!“ – auch etwas weniger schwer, einfach weil gar nicht so viele Feinde entstehen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=6525
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