SWR2 Wort zum Tag

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Bischöfin Margot Käßmann war entrüstet: In letzter Zeit hat man sie immer wieder gefragt, ob die Kirche nicht womöglich die Gewinnerin der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise sein könnte. Und einem ihrer katholischen Kollegen ging es nicht besser: Hat Gott uns vielleicht die Krise zur Besinnung geschickt? So wurde der Augsburger Bischof Walter Mixa treuherzig von der Moderatorin einer Talkshow gefragt.
Absurde Fragen – und eine gespenstische Vorstellung dazu: die Kirchen nützen Ängste und Nöte, um Mitglieder zu werben. Und noch gespenstischer ein solches Gottesbild: Alttestamentlichen Plagen gleich lässt Gott den internationalen Finanzmarkt kollabieren, damit wir endlich zur Vernunft kommen?
„Not lehrt beten“ hieß es früher im Volksmund. Das meint natürlich nicht: Not füllt Kirchenbänke oder womöglich Kirchenkassen. Trotzdem aber dürfen die Kirchen den Kairos nutzen. Den guten Zeitpunkt, um ihre kritische, aber auch tröstende Botschaft zu verkünden.
Immer wieder haben sich die Kirchen, so auch in den letzten Wochen und Monaten, zu Wort gemeldet – zur Wirtschafts- und Finanzkrise. Die evangelische Kirche zuletzt mit einer Erklärung, einer richtigen prophetischen Buß- und Umkehrpredigt. Sie ist überschrieben mit einem Zitat aus dem Buch Jesaja: „Wie ein Riss in einer hohen Mauer“ Mit diesem Bild warnte der Prophet sein Volk vor der nahen Katastrophe, wenn nicht sofort alle ihr Verhalten ändern.
Stärker theologisch fundiert hat sich auch Papst Benedikt XVI. in seiner „Sozialenzyklika“ der Wirtschafts- und Finanzkrise gewidmet, vor zwei Wochen veröffentlicht.
Wortgewaltig mahnen beide Texte, in Wirtschaft und Finanz wieder Maß zu nehmen: Am Wohl aller Menschen nämlich; derer, die jetzt leben wie derer, die nach uns kommen. Maßzunehmen auch an einer intakten Umwelt, der guten Schöpfung. Und die Starken sollen wieder die Schwachen tragen, hier bei uns wie weltweit.
Wirtschaftsführer und Politiker aller Couleur, Gewerkschafter und Arbeitgeber - von allen Seiten werden jetzt beide Kirchen für ihre Mahnworte heftig gelobt. Dabei könnte man durchaus etwas boshaft sagen: Richtig neu und überraschend war es wirklich nicht, was sie da gesagt haben. Das hat man im Großen und Ganzen doch alles schon einmal gehört - von kirchlichen Hilfswerken und Organisationen, von Bischöfen und auch vom Papst.
Aber vielleicht gibt es doch diesen Kairos, diesen günstigen Augenblick: In dem das, was schon oft gesagt wurde, endlich wieder gehört wird. Der günstige Zeitpunkt, in dem allzu Selbstverständliches wieder neu und überraschend klingt. Die Kirchen dürfen, ja müssen diese Chancen nutzen, um ihre Botschaft zu verkünden. Vielleicht lehrt die Not ja nachzudenken und womöglich gar nachdenkend zu beten.
Das Vertrauen auf Gott kann nicht nur helfen, der Krise standzuhalten, so heißt es in der Erklärung der evangelischen Kirche; es kann auch helfen, aus der Krise die richtigen Schlüsse zu ziehen. https://www.kirche-im-swr.de/?m=6459
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