SWR2 Wort zum Tag

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Die Faszination für soziale Netzwerke im Internet habe ich nie richtig verstanden. Zurzeit bekomme ich regelmäßig von alten Schulkollegen sogenannte „Freundschafts-Einladungen“. Man erhält eine E-Mail, in der steht: Xy lädt dich ein, sein oder ihr Freund zu werden. Ein Klick genügt und man ist aufgenommen in das Reich der ewigen Freundschaft. Eine verlockende Vorstellung. Manchen genügt das und sie sammeln Freundschaften im Netz wie Siegestrophäen.
Ich muss zugeben, bei dem Gedanken kribbelt es mir zwischen den Fingern. Soll ich nicht doch auch, warum eigentlich nicht? Es würde mich schon interessieren, was aus dem einen oder der anderen geworden ist, wie es ihnen geht.
Was mich davon abhält: „Ich will nicht mein Gesicht verlieren“. Auch wenn ich im Internet gar kein Gesicht habe. Ich bin eigentlich unsichtbar und hinterlasse doch meine Spuren. Eines der bekanntesten Netzwerke, das viele heutzutage nutzen, heißt „Facebook“, Gesichts-Buch, auch wenn man das Gesicht hinter dem Buch oft nicht kennt. Hier tauscht man Nachrichten und Fotos aus und wird quasi durchsichtig für andere.
Warum funktionieren solche Kommunikationsnetze trotzdem?
Früher, so schwärmen manche, war alles besser. Die Menschen kannten einander, die Nachbarn waren immer da, der Lebensort war überschaubar. Heute scheint vieles komplizierter zu sein. Aber ist es wirklich so? Ich kann heute so unkompliziert mit Menschen über das Internet in Kontakt treten.
Spannend ist, dass in meiner Altersgruppe der Wunsch nach vertrauter Heimat wohl derselbe geblieben ist. Oder ist es die pure Neugierde? Was auch immer die Menschen zueinander treibt – die irgendwann mal da gewesene Nähe lässt einen das ganze Leben nicht mehr los. Diese Sehnsucht nach Nähe findet sich auch in den Religionen. Sobald ich irgendwo in eine Kirche betrete, habe ich das Gefühl, bei etwas Vertrautem angekommen zu sein. Die Sehnsucht nach dem Vertrauten treibt uns vielleicht auch heute zu den modernen sozialen Netzwerken. Sie können uns miteinander verbinden, Nähe schaffen. Darin liegt eine große Chance, wenn wir sie richtig zu nutzen wissen.
Eigentlich schön, wenn mich jemand um Freundschaft anfragt, ich sollte nicht gleich absagen. Schließlich kenne ich ja das Gesicht des Menschen dahinter. Vielleicht antworte ich doch – zumindest mit einer elektronischen Nachricht? https://www.kirche-im-swr.de/?m=6397
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