Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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In Schleswig Holstein gibt es die „Strasse der Höflichkeit“; sie verbindet das Festland mit der Hamburger Hallig. Eine Schranke hindert die Autofahrer ein bisschen, aber wer 3 € zahlt, kann die Strasse benutzen. Ansonsten ist sie frei für Käfer und Fliegen und Möwen, die mal zu Fuß gehen wollen. Fußgänger teilen sich die Strasse mit Fahrradfahrern und Schafen. Gras wächst zwischen den Steinplatten, Muschelschalen liegen überall rum.
Und ab und zu kommt halt auch mal ein Auto. Zu Fuß dauert es eine Stunde ungefähr bis zur Hallig, kommt drauf an, ob man mit dem Wind geht oder gegen den Wind.
Ich bin diese Strasse der Höflichkeit oft gegangen und habe viel Höflichkeit erfahren.
Die Schafe gehen freundlich zur Seite, wenn ein Mensch kommt, die Vögel schwingen sich wieder in die Lüfte, der Wind unterstützt manchmal beim Gehen – oder er fordert eben meine Kräfte heraus. Dann weiche ich höflich aus und erweise dem Stärkeren meinen Respekt.
Wenn ich so in der Natur unterwegs bin, egal ob im Urlaub oder zuhause, dann geht mir manches durch den Kopf. Wattwürmer und Salzwiesen, Efeu und Schmetterlinge, das gab es doch lange schon, bevor der Mensch das Licht der Welt erblickte. Die Krone der Schöpfung, hab ich als Kind in der Schule gelernt. In der Natur komme ich mir nicht so vor: als Krone der Schöpfung. Wenn der Wind so recht die Backen aufbläst, dann wird mir ganz kalt. Die Bäume neigen sich nur und richten sich wieder auf. Jedes Efeu klettert schneller als ich. Und Lasten schleppen wie eine Ameise, die das Vielfache ihres Körpergewichtes stemmen kann, da komme ich auch nicht mit.
Nach dem Glauben der Bibel zeichnet den Menschen aus, dass er nach Gottes Bild geschaffen wurde. Mann und Frau gemeinsam verkörpern Gott in dieser Welt. Da bin ich doch gern die Krone der Schöpfung, wenn ich – mit anderen zusammen – ein Abbild des Schöpfergottes bin! Darf ein Teil seiner Schöpfung sein, darf mich einfügen in die Ent-wicklung des Lebens, aber auch vieles von dem erkennen und verstehen, was alles wie zusammen hängt und aufeinander aufbaut.
Deshalb freu ich mich so über die „Strasse der Höflichkeit“ in Schleswig Holstein. Höflichkeit und Respekt von Geschöpf zu Geschöpf, von Wattwurm zu Urlauber, von Mensch zu Stern, von der Schöpfung zu Gott. Die ganze Erde voller Strassen der Höflichkeit. Das wär doch was.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=6382
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