SWR2 Wort zum Tag

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Darwin: Evolution und Schöpfung
Von der Schönheit der Schöpfung

„Nichts Schöneres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein…“ So preist Ingeborg Bachmann in vielen Bildern die Sonne. Hier spricht ein Mensch, der sich freut, in der Welt zu leben. Die Sonne, sagt sie, ist „zu weit Schönerem berufen als jedes andre Gestirn, weil dein und mein Leben jeden Tag an ihr hängt … Schönes Licht, das uns warm hält, bewahrt und wunderbar sorgt, dass ich wieder sehe und dass ich dich wiederseh!“
Diese Verse atmen Leben, verströmen Lebenslust. Sie sind Leben, das zugleich Lob ist. Ingeborg Bachmann lobt die Sonne, die wärmt, Leben ermöglicht, sieht unsere menschliche Existenz Tag und Nacht abhängig von ihr.
Dieses Leben im Einklang mit der Schöpfung spüre ich auch in einem Garten. Wenn ich in seine Vielfalt und Schönheit eintauche, ist es wie Atemholen. Er ist ein Ort des Friedens und der Harmonie. Dieser Garten lehrt mich Raum und Zeit zu vergessen, nimmt mich in seiner Lebendigkeit und Schönheit gefangen. Der Wechsel der Jahreszeiten, sein Rhythmus, dieses Kommen und Gehen, zeigt mir Wachsen und Entstehen, Werden und Vergehen. Hier fühle ich mich als Teil von Gottes Schöpfung.
Die Erzählungen in der Bibel von der Schöpfung oder der Psalm 104 singen in ähnlich poetischer Weise diesen Lobpreis Gottes. Die Verfasser dieser Texte haben in einer anderen Zeit und in einer anderen Welt gelebt. Ich darf die Schöpfungserzählungen und den Lobpreis der Natur in Psalm 104 nicht wie eine naturwissenschaftliche Abhandlung lesen, um die Schöpfung in ihrer Schönheit und Vielfalt zu erleben. Beim Bestaunen des Waldes und der blühenden Gärten, der Freude über die Schönheit der Berge und über die Weite des Meeres kann ich spüren, wie dem schöpferischen Handeln Gottes Worte gegeben werden.
Als moderner Mensch kann und will ich die Erkenntnisse der Wissenschaft nicht leugnen. Ich nehme aber auch die alten Texte ernst und setze sie meinem heutigen Leben aus, der Not und der Freude, den Fragen und den Antworten. Und dann kann es sein, dass die alten Texte anders zu mir sprechen, so dass alter Text und mein Erleben zusammengehören.
Am Anfang der Bibel stehen Schöpfungsbekenntnis und Schöpfungslob. Ein Lob des Schöpfers, wie wir es auch in Psalm 104 finden: „Herr, wie sind deine Werke groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güte.“ Heute können wir es mit Ingeborg Bachmanns Vers ähnlich poetisch sagen: „Nichts Schöneres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein…“

Ingeborg Bachmann, An die Sonne, in: dies., Werke, Bd. 1, München/Zürich 1978, 136https://www.kirche-im-swr.de/?m=6306
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