SWR2 Wort zum Tag

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Darwin: Evolution und Schöpfung
Darwinjahr - Barmherzigkeit

Was macht den Menschen zum Menschen? Aus den vielen möglichen Antworten ist für mich eine besonders wichtig: Menschen sind fähig, sich anrühren zu lassen vom Leid, vom Misslingen, vom Verletzt- und Traurigsein eines Anderen. In einem alten Wort gesagt: Menschen können sich eines anderen Menschen erbarmen.

Wenn es nach der Evolutionstheorie geht, ist das Sich-eines Anderen-Erbarmen aber gar keine gute Idee. Besser ist es, kämpferisch und durchsetzungsfähig zu sein. Denn nach der Darwin’schen Evolutionslehre ist jedes Lebewesen in einen Kampf ums Dasein, einen struggle of existance, verstrickt.

Vor 170 Jahren notierte er die Grundtheorie dazu in seinen Tagebüchern. Darwin war nicht der erste, der darüber nachdachte, erklärt der Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer aus Konstanz: Vielmehr habe Darwins Theorie mit der Gesellschaft Englands im 19. Jahrhundert und ihren sozialen Spannungen zu tun. Damals erschien ein Aufsatz über die Entwicklung der Menschheit (Thomas Malthus, Essay of Human Population), der ein bedrohliches Szenario entwarf: Die Zahl der Menschen nehme schneller zu als die Zahl der Lebensmittel, die sie ernähren könne. Wann würde es deswegen zum Kampf ums Dasein kommen? Darwin übertrug diese Frage auf seine Naturbeobachtungen. Später kehrte der Gedanke des Kampfes ums Dasein wieder in die gesellschaftliche Diskussion zurück, verbunden mit dem Schlagwort: „Der Fitteste überlebt“. Nach Darwin müssen Menschen im Kampf ums Dasein Kämpferinnen und Kämpfer sein, die für ihr Überleben sorgen. Nur den Fittesten gelingt das.

Wo hat in dieser Theorie das Sich-Erbarmen-Können seinen Ort, das Barmherzig-Sein mit denen, die zu den Verlierern und Schwachen in diesem Kampf gehören? Ich will nicht zur egoistischen Kämpferin im Kampf um das Dasein reduziert werden! Dass ich mich eines Anderen erbarmen kann, gehört für mich zum Mensch-Sein unabdingbar dazu.

Die biblische Tradition ermutigt dazu: Dort ist die wunderbare Vorstellung vom „Erbarmen“ nicht nur ein Kennzeichen des Menschseins, sondern zuallererst ein Kennzeichen Gottes: Gott ist gnädig und barmherzig, geduldig und von großer Güte (Ps. 103). In der Ursprache der Bibel, im Hebräischen, kann das Wort „Barmherzigkeit“ auch übersetzt werden mit „Mutterschoß“. Ist diese Eigenschaft Gottes der menschlichen Natur abgelauscht? Menschen dürfen sich beim barmherzigen Gott wie auf Mutters und Vaters Schoß geborgen und sicher fühlen, wie Kinder, die behütet und beschützt im Schoß der Mutter heranwachsen. - Gott erbarmt sich unser. Deshalb können sich Menschen einander erbarmen. Das macht für mich das Mensch-Sein aus! https://www.kirche-im-swr.de/?m=6296
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