Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Kaum zu glauben, das ist schon ein Jahr her. 29. Juni 2008: Deutschland verliert in Wien im Finale der Fußball-Europameisterschaft der Männer gegen die spanische Nationalmannschaft. Null zu eins endet das mäßig spannende Spiel. Es sollte nicht sein mit dem Titel für Jogi Löws Mannen. Mit der ganzen Familie saßen wir vor dem Fernseher, haben gezittert und gebangt. Und waren nachher natürlich alle ziemlich geknickt. Kein Autokorso, kein Wir-sind-Europameister-Gefühl.
Heute, ein Jahr später, ist das nur ein blasse Erinnerung. Die Fußballer kicken längst schon um ihre Qualifikation für die Weltmeisterschaft. Und ich frage mich, ein Jahr später: Was mich damals zittern ließ, Sieg oder Niederlage, hat das im letzten Jahr wirklich Bedeutung gehabt?
Ich glaube nicht. Sicher, ich war beim Finale ganz dabei. Aber dann war es eben auch vorbei. Gegessen, wie es so schön heißt. Und das bedeutet: Die Sache ist zu Ende, der Alltag geht weiter, bis zum nächsten Essen. Ganz ähnlich war das mit dem scheinbar ach so wichtigen Fußballfinale. Wirklich bewegt haben mich nämlich seit diesem verlorenen Spiel viele andere Dinge. Zum Beispiel ist jemand aus meiner Familie überraschend sehr krank geworden. Und da hab ich deutlich gemerkt, wie sich die Gewichte im Leben verschieben. Wie plötzlich vieles in den Hintergrund tritt, was sonst so wichtig ist: Die Sorgen im Beruf, die Auseinandersetzungen mit den Kindern etwa, das ganz normale Alltagsleben. Auf einmal alles nur nebensächlich. Nur das eine war da wirklich wichtig: Dass da jemand gesund wird.
Ähnliche Erfahrungen lassen sich überall machen. Was mich normalerweise zittern lässt, das ist schon kurze Zeit später kaum noch von Belang, ist aufs Ganze gesehen wirklich nicht der Aufregung wert. Weil ich immer wieder spüren kann: Erfolg, Sieg oder Niederlage, Anerkennung, Stolz, das ist alles wichtig. Aber lebenswichtig ist anders: Wie geht es den Menschen um mich herum? Wer braucht meine Hilfe hier – und anderswo? Wer ist auf mich angewiesen – und auf wen bin ich angewiesen? Das ist doch wichtig. Und darauf kann ich heute vielleicht besonders leicht aufmerksam werden, an einem Tag ohne Fußballendspiel.

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