Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Mark Twain, der große amerikanische Erzähler, war ein eifriger Bibelleser. Seinen Freunden erklärte er einmal: „Was mich an der Bibel stört, sind nicht die Teile, die ich nicht verstehe, sondern diejenigen, die ich kapiere.“
Mark Twain ist kein Einzelfall. Mir geht das mit der Bibel genauso. Da gibt es Texte, die sagen ganz eindeutig was Sache ist. Nehmen Sie die Aufforderungen der Bergpredigt. Da redet Jesus Tacheles: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ (Mt 7,1). „Was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“ (Mt 7,12). „Liebt eure Feinde!“ (Mt 5,44).
Ich weiß genau: Jesus hat Recht. Eine Welt, in der Selbstgerechtigkeit, Egoismus und Vergeltung herrschen, kann nicht nach dem Willen Gottes sein. Wenn sich etwas ändern soll, dann müsste man seine Worte beherzigen. Dann müsste ich aufhören, über andere den Stab zu brechen oder meine Gegner zu bekämpfen. Und wer hindert mich eigentlich daran, das zu tun, was ich von den anderen erwarte?
Das habe ich kapiert. Aber andererseits kenne ich ja meine Schwächen ganz genau. Wie schwer fällt es mir, das alles in die Tat umzusetzen!
Diese Spannung ist verstörend. Aber sie macht auch das Geheimnis der Bergpredigt aus. Man darf ihr nicht ausweichen.
Die biblischen Texte erinnern mich daran, dass es ein richtiges Leben im falschen gibt. Diese Erkenntnis mutet mir Jesus zu. Ganz bewusst. Nicht um mich als Versager zu verurteilen. Er traut mir vielmehr zu, die von Gott gewollte Ordnung für besser zu halten als die von uns Menschen gestaltete. Bei Gott gibt es keine Ausbeutung, keine Rücksichtslosigkeit, keinen Hass, keine Gewalt. Die Welt, wie Gott sie haben möchte, das ist das „Reich Gottes“. Und genau darum, sagt Jesus in der Bergpredigt, sollte es uns zuallererst gehen. Tag für Tag. Auch heute.



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