SWR2 Wort zum Sonntag

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Liebe Hörerinnen und Hörer!
60 Jahre Grundgesetz – in diesen Tagen haben wir in der Bundesrepublik der Erfolgsgeschichte unserer Verfassung gedacht, die 1949 die Grundlage für einen freien und demokratischen Aufbau unseres Vaterlandes nach der Katastrophe des Nazi-Regimes und des Zweiten Weltkriegs bildete. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes sahen sich dabei eindeutig in einer Verantwortung „vor Gott und den Menschen“. Diese Prägung hat den Weg unseres Landes bis auf den heutigen Tag bestimmt. Angesichts dessen, was vorausging, dürfen wir dafür tief dankbar sein.
Dass der Friede der vergangenen 60 Jahre in Westeuropa und die Aussöhnung, besonders zwischen den einstigen „Erzfeinden“ Frankreich und Deutschland, keine Selbstverständlichkeiten sind, das ist mir dieser Tage wieder so richtig bewusst geworden, als ich im Rahmen der Feierlichkeiten zur 50-jährigen Städtepartnerschaft zwischen Chartres und Speyer einer Einladung nach Frankreich folgte. Was muss es doch teilweise für eine Überwindung gekostet haben, aufeinander zuzugehen und miteinander den Weg der Versöhnung einzuschlagen! Gefordert ist dafür eine Offenheit gegenüber dem Anderen, die in ihm nicht den Konkurrenten und Gegner, sondern den Mitmenschen und potentielle Partner sieht. Immer wieder müssen wir uns fragen, ob wir diese Offenheit heute mitbringen.
Bei uns in Speyer steht als Stein gewordenes Symbol dieser Aussöhnung die Friedenskirche St. Bernhard. Vor 55 Jahren wurde sie eingeweiht, nur neun Jahre nach dem Ende des Krieges. In der kleinen Pax-Christi-Kapelle wird Erde von vielen Schlachtfeldern aus der ganzen Welt aufbewahrt: bleibende Mahnung daran, dass der Ungeist des Krieges nicht wieder Macht über uns gewinnen soll. Friede meint mehr als nur die Abwesenheit des Krieges. Die französischen Katholiken haben viel Geld für den Bau der Bernhardskirche gespendet. Sie handelten aus dem Geist des Evangeliums Jesu heraus, der uns den Hass überwinden lehrt und uns im Anderen die Schwester und den Bruder erkennen lässt. Was die Apostelgeschichte in der Bibel vom ersten Pfingstereignis berichtet, das können Menschen auch heute noch erfahren: dass es Verständigung und Verstehen gibt über die Grenzen von Kultur und Sprache hinweg. Der Geist, den Jesus seinen Jüngern versprochen hat, ist heute lebendig und am Wirken. Auch heute lässt er Menschen heraustreten aus der Enge der Angst, lässt sie menschliche Grenzen und Hindernisse überwinden.
Die Politikerinnen und Politiker, die für die Aussöhnung standen, haben ebenfalls aus diesem christlichen Geist heraus gehandelt. Sie haben ihre christliche Überzeugung in die politische Debatte eingebracht. Sie wussten, dass ein politisches System sich nicht selbst Grundlage sein kann, sondern noch aus etwas anderem heraus seine Werte und Überzeugungen bezieht. 60 Jahre Grundgesetz sind daher auch ein Anlass, dass wir uns auf die Wurzeln unserer Verfassung und unseres Gemeinwesens besinnen: die Verantwortung vor Gott und den Menschen. Gemeinsame Werte und Grundüberzeugungen bleiben dann in unserer Gesellschaft lebendig, wenn wir uns dieser Verantwortung vor Gott wieder mehr bewusst werden.
Im Brief an die Römer erinnert uns der hl. Apostel Paulus daran, was es bedeutet, wenn die Verantwortung vor Gott ernst genommen wird. Er schreibt: „Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, es ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist … Lasst uns also danach streben, was zum Frieden und zum (gemeinsamen) Aufbau beiträgt.“ (Röm 14,17)
Dazu wünsche ich uns Mut und Zuversicht. https://www.kirche-im-swr.de/?m=6135
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