SWR2 Wort zum Tag

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Nein! Der Mensch ist nicht nur auf seinen Vorteil bedacht. Er hat ein tief in seinem Inneren verankertes Gespür für Fairness und Gerechtigkeit. Diese Behauptung haben Hirnforscher mit einem spektakulären Experiment bewiesen.

Stellen Sie sich folgendes vor: Mitten in der Fußgängerzone spricht sie ein Mann an. „Hier haben Sie 50 €. Ich habe 100 € geschenkt bekommen, muss sie aber mit jemandem teilen. Wenn sie der Lösung zustimmen, dass ich den Betrag einfach mit Ihnen teile, bekommen wir jeder die Hälfte.“ Sie zögern vielleicht erst. Und nehmen dann dankbar an.

Einige Meter weiter begegnet ihnen eine Frau an. Eine weitere Versuchsperson mit klarem Auftrag. Auch sie erzählt ihnen, sie habe 100 € geschenkt bekommen, die sie irgendwie mit jemandem teilen muss. Ihr Angebot weicht von dem vorhergehenden deutlich ab. „Wenn Sie damit zufrieden sind, 10 € zu bekommen, können Sie sie gerne behalten.“ Jetzt werden sie stutzig. Halbe, halbe, das war ein faires Angebot. 40 zu 60 wäre auch noch o.k. gewesen. Schließlich ist es geschenktes Geld. Aber 10 zu 90. Das hätten sie wahrscheinlich doch eher abgelehnt.

Dass Sie an einem Experiment teilgenommen haben, wissen sie nicht. Das Experiment beweist: Ist ein Angebot, das man uns macht, zu ungünstig, gehen wir lieber leer aus, als dass wir uns ins Unrecht setzen lassen. Unser Hirn reagiert auf ein derart unfaires Angebot - auch das hat das Experiment gezeigt - mit einer Reaktion, die auf verletzte Gefühle, sogar auf Ekel hinweist.

Wir Menschen haben also ein angeborenes Gespür für Gerechtigkeit. Dass muss uns gar nicht so sehr erstaunen, wenn wir unsere Existenz mit Gott in Verbindung bringen. Aber ich bin froh, wenn mir auch die Hirnforscher sagen, dass der Mensch nicht einfach nur böse ist. Manches mag vielleicht verschüttet werden in einem Menschenleben. Erlebtes Unrecht mag einen Menschen hart gemacht haben. Aber dass der Mensch von Natur aus schlecht sei, das stimmt nicht überein mit dem Bild, das Gott als Schöpfer in uns Menschen hineingelegt hat. So negativ kann Gott uns Menschen nicht gemeint haben.

Gott erträgt es nicht, Menschen am Unrecht leiden zu sehen. Und als Geschöpfe, die Gott mit einem Gefühl für Gerechtigkeit ausgestattet hat, brauchen wir es auch nicht zu ertragen. Nicht weil wir besonders religiös sein müssen. Sondern weil Gott uns den Auftrag, mitmenschlich und gerecht miteinander umzugehen, nicht nur ins Herz, sondern auch in die Gene gelegt hat.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=6111
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