SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen … Mit diesen Worten beginnt das Grundgesetz. Warum bezieht sich unsere Verfassung gleich im ersten Satz auf Gott? Aus heutiger Sicht ist dieser Satz doch auf alle Fälle missverständlich und strittig. Und er wird längst nicht von allen Menschen geteilt. Ein religiös überhöhtes Gemeinwesen? Davon hatte man nach dem Ende des Dritten Reiches genug!

Aber gerade deshalb wurde der Gottesbezug eingefügt. Er kann uns wirkungsvoll davor schützen, uns von Ideen und Ideologien vereinnahmen zu lassen. Er kann uns immun machen gegen die Vergötzung der Rasse. Gegen die Verunglimpfung der Fremden. Gegen die Verhöhnung der Armen.

Natürlich haben die Väter und Mütter des Grundgesetzes aus ihrer damaligen Sicht zunächst den Gott der Bibel im Blick gehabt. So wie ihn uns Jesus von Nazareth vor Augen gestellt hat.

Auf die Frage, nach welchen Richtlinien wir Menschen unser Handeln ausrichten sollen, antwortet er mit dem berühmten Doppelgebot der Liebe: „Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen. Und mit deinem ganzen Verstand. Und deinen Nächsten wie dich selbst!“

Die Ausrichtung unseres Lebens an Gott und die Zuwendung zum Menschen - sie sind nicht auseinander zu dividieren. Sie sind sinnvoll für ein Festhalten an Grundbestimmungen des Menschen, die nicht zur Disposition stehen können: die Unantastbarkeit der Menschenwürde etwa. Und die Freiheitsrechte des einzelnen.

Der Gottesbezug in der Verfassung ist aber ausdrücklich deutungsoffen. Und er ist heute in einem weiteren Horizont zu denken als er ursprünglich einmal gemeint war. Für mich heißt das ganz konkret. Der Gottesbezug schließt die Religionen unserer Mitmenschen anderen Glaubens ausdrücklich ein. Er ist auch in einer multireligiösen und zugleich zunehmend säkularen Gesellschaft sinnvoll.

Ein bekannter Verfassungsrechter hat das ganz lapidar so formuliert: „Der Staat lebt von Grundlagen, die er selber nicht garantieren kann.“ Von der Erfahrung, dass uns die tragenden Grundlagen unseres Lebens voraus sind; dass sie uns zufallen, ist selbst der Staat nicht ausgenommen. Ich finde das beruhigend.

Wir gestalten also unser öffentlich geordnetes Zusammenleben in Verantwortung vor den Menschen. Und im Wissen darum, dass all unserem Handeln die Gewissheit zugrunde liegt, dass das Gelingen nur von außen garantiert werden kann. Dieses Wissen mit Gott in Verbindung zu bringen, beschreibt ein anspruchsvolles Programm. Wir sollten hinter diesen Anspruch des Grundgesetzes auf alle Fälle nicht mehr zurückfallen. Und für diese Sichtweise auch öffentlich unerschrocken eintreten.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=6109
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