SWR2 Wort zum Tag

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Von allem nun, was den Menschen gemeinsam ist, ist das Gemeinsamste: dass sie essen und trinken müssen. Schreibt der Soziologe Georg Simmel vor genau 100 Jahren. Essen als ursprünglich egoistischer Akt, so der Soziologe, wird im gemeinsamen Mahl zu einem kultivierten und Gemeinschaft stiftenden Ereignis.

Mir wird dabei klar, dass – neben dem Kreuz – ein anderes Symbol im jüdischen wie im christlichen Glauben von herausragender Bedeutung ist, nämlich: der Tisch.
Im Mittelpunkt des biblischen Glaubens steht die Tischgemeinschaft. Menschen begegnen einander und begegnen Gott, indem sie sich einladen lassen und sich als Gäste erleben.
Ich denke an die wunderbare Geschichte von Abraham und Sarah, die die Fremden vor ihrem Zelt zu einer Mahlzeit heran bitten. Oder an Jesus, der sich zum Zöllner Zachäus an den Tisch setzt und so dessen soziale Isolation aufhebt.
Die vielen Mahlzeiten, die Jesus im Kreis seiner Jünger feiert, sind gewiss kein Zufall. Und auch nach seinem Tod ist es wieder das gemeinsame Mahl, bei dem die Emmausjünger begreifen, dass der Unbekannte, der eben noch mit ihnen Brot und Wein teilte, der auferstandene Christus ist.
Schon bei den biblischen Propheten war die Mahlzeit ein Bild für den Frieden, den alle erhoffen: „Und Gott wird allen Völkern ein fettes Mahl machen“, heißt es bei Jesaja, „ein Mahl von reinem Wein, von Fett und von Mark ... Und er wird die Tränen von allen Gesichtern abwischen.“

Ein bisschen davon, denke ich, blitzt ja schon bei jeder guten Mahlzeit auf. Wenn Menschen beieinander sitzen und teilen, was vor ihnen steht. Wenn sie aufmerksam dafür sind, was liebevoll zubereitet wurde. Wenn sie im Blick haben, was den Tischnachbarn gerade fehlt.
Essen ist dann mehr als Einwerfen von Nahrung auf schnellstem Wege, wo jeder nur bestrebt ist, für sich allein satt zu werden. Es geht um etwas anderes. Es geht dann darum, eine Gemeinschaft zu erfahren, die im Teilen und durch das Teilen satt macht.
Jede Mahlzeit, wenn sie nur als Zeit zum Mahl gestaltet wird, kann so einen Vorge-schmack geben vom Leben, wie es sein soll und sein könnte. ‚Geht’s uns gut’, sagen wir in solchen erfüllen Augenblicken, wo uns der Tisch gedeckt ist und wir den Reichtum einer Tischgemeinschaft erleben. Und wir spüren, dass die Liebe Gottes auch durch den Magen geht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=6108
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