SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Der Frühling beschenkt uns: nach dem Blütenzauber, der dieses Jahr besonders üppig war, beginnt nun alles zu reifen und die ersten Früchte wie Radieschen und Erdbeeren lachen uns mit ihrer roten Farbe schon an. Es ist ein Fest, jetzt über einen Markt zu gehen. Dabei ist das erst der Anfang: über die ganzen Sommermonate bis in den Herbst hinein deckt uns die Natur üppig den Tisch mit frischem Obst und Gemüse. Wir empfinden das vielleicht nicht mehr ganz so intensiv, weil uns Gewächshäuser und ferne Länder das ganze Jahr über mit frischer Ware versorgen. Noch unsere Großmütter kannten die kargen Wintermonate, wo man nur lang haltbare Lebensmittel wie Kohl, Kartoffeln und Rüben hatte – und: Eingemachtes. Das war der Stolz jeder Hausfrau, die gefüllten Einmachgläser im Keller. In ihnen war der Sommer aufbewahrt. Und es war etwas Besonderes, wenn es am Sonntag zum Nachtisch eingemachte Birnen gab.
Für mich ist das wie ein Gleichnis meines inneren Lebens. Auch da gibt es sommerliche und winterliche Zeiten. Zeiten etwa, in denen das Leben nach reifen Früchten schmeckt. Wo es keinen Hunger gibt nach Sinn , weil alles stimmig und innerlich erfüllt ist und seinen guten Platz hat. Kann man solche Erfahrungen konservieren und für die winterlichen Zeiten aufbewahren, wo die Seele friert?
In der bekannten Kindergeschichte von der kleinen Maus Frederik sammelt diese die Farben und Düfte des Sommers, während ihre Mäusekollegen sich an die Körner halten. Während die Körner im harten und langen Winter irgendwann zur Neige gehen, kann Frederik die Schatztruhe seiner intensiven Erinnerungen öffnen, davon erzählen und so die anderen daran teilhaben lassen.
Wenn wir uns erinnern, wird das Geschehene in unser Inneres hineinverwandelt. Die Erlebnisse werden bewertet und gedeutet.
Und weil sie uns kostbar erscheinen, wollen wir sie aufbewahren. Es ist gut, solche Erinnerungen immer wieder einmal hervorzuholen, in Dankbarkeit, weil man diese Erlebnisse hatte, oder in Wehmut, weil sie vergangen sind.
Die eingemachten Früchte meiner Großmutter waren nicht nur eine Erinnerung an den vergangen Sommer, sondern auch eine Verheißung auf den kommenden.
Vielleicht ist das auch sonst im Leben so.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=6078
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