SWR2 Wort zum Tag

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Ein junger französischer Priester wird zu einem selbstmordgefährdeten Mann gerufen. Der erzählt später von dieser Begegnung: „Mir fehlte nicht nur, wovon ich leben konnte, sondern vor allem, wofür ich leben konnte“. Und dieser Abbé hat mir einfach vorgeschlagen: hilf mir, anderen zu helfen: Zusammen können wir ein paar Menschen der Hölle entreißen.
Und diese Hölle war für den Pater sehr konkret: die Weltstadt Paris, in der Menschen erfrieren, weil sie kein Dach überm Kopf haben. Der junge Priester, später weithin bekannt unter dem Namen Abbé Pierre, ist am Montagmorgen in Paris gestorben. Man nennt ihn „Vater der Obdachlosen“ und „Gewissen Frankreichs“. Und jene Begegnung mit dem verzweifelten Mann gilt heute als die Geburtsstunde der sogenannten Emmaus-Gemeinschaft. Der Anfang war 1954 ein Haus für Obdachlose in Paris, heute ist die Emmaus- Gemeinde in fast 50 Ländern verbreitet und zählt mehr als zehntausend Mitglieder, eine Mischung aus Hilfsorganisation, Selbsthilfegruppe und geistlicher Bewegung
Abbé Pierre hat der Gemeinschaft vielsagend den Namen eines kleinen Ortes bei Jerusalem gegeben. Dort ist der auferstandene Christus zweien seiner reichlich demoralisierten Jünger begegnet und hat ihnen das Herz neu entflammt.
„Wenn ich allen, die um mehr Menschlichkeit bemüht sind, eine Gewissheit weitergeben soll, dann ist es die: „Leben heißt, lieben lernen“, schrieb Abbé Pierre in dem Buch „Mein Testament“ und fügte, fast entschuldigend hinzu: er könne wirklich nichts anderes sagen.
Vor wenigen Wochen haben wir in Deutschland über die so genannte „neue Unterschicht“ diskutiert. Dabei fiel ein Licht auch auf Lebenslagen, die für mich als Christ unglaublich herausfordernd sind: Menschen, die die Regie übers eigene Leben verloren haben, die nicht mehr an die Fähigkeit glauben, an ihrem Leben etwas ändern zu können. Menschen, die keine Zukunft mehr sehen Als „Abgehängte“ hat man sie bezeichnet, solche die niemand mehr braucht und die sich selbst abgeschrieben haben.
An diese Lebensschicksale musste ich denken, als ich in den letzten Tagen so viel hörte von Abbé Pierre, der in Frankreich geradezu als Ikone einer besseren Gesellschaft verehrt wird.
Wie unerschütterlich muss sein Glaube an den „Gott des Lebens“ gewesen sein, der Glaube an die Verheißung, dass alle ein Leben in Fülle haben sollen. Dieser Glaube hat ihm, wie er selbst sagt, die „Wut der Liebe“ verliehen, mit der er seinen unermüdlichen Kampf geführt hat. Und dieser Glaube Abbé Pierres war offenbar höchst ansteckend. Auch für Menschen, die sich selbst abgeschrieben, den Blick für die eigene Zukunft verloren haben. https://www.kirche-im-swr.de/?m=603
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