SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

»Mensch, wo bist du?« Mit dieser Frage machen sich heute Tausende auf den Weg zum 32.ten deutschen Evangelischen Kirchentag. Zum ersten Mal überhaupt ist der Kirchentag zu Gast in Bremen - und zum ersten Mal - in sechzig Jahren Kirchentag - steht ein Fragezeichen in der Losung: »Mensch, wo bist du?« Typisch für die Freie und Hansestadt Bremen? Für die Stadt der Kaufleute und Seefahrer? Religion ist hier keine unhinterfragte Größe. Seit Jahrhunderten regiert die Bürgerschaft die Stadt und keine religiöse Obrigkeit. Religion ist ein Teil der Zivilgesellschaft. So viel – mehr aber auch nicht.

»Mensch, wo bist du?« Wenn sich nach sechzig Jahren der Kirchentag erstmals eine Frage zum Motto nimmt - ist das – denke ich - auch ein Zeichen der Zeit. Fragen in fragwürdigen Zeiten – in Zeiten, da auch die nahe Zukunft mit vielen Fragezeichen versehen wird – darauf kommt es an: Wie geht es weiter? Mit der Natur? Mit der Industrie? Mit militärischen und kulturellen Spannungen – weltweit? Mit dem, was wir unseren Wohlstand nennen?
Fragen – das hat mir mein Jiddischlehrer Paul Rosenkranz einmal erklärt – sind oft wichtiger als die Antworten. Denn: Fragen treiben voran. Sie sind es, die Antworten gebären.

»Mensch, wo bist du?« In der Bibel ist das Gottes An-Frage im Garten Eden:
„Mensch, wo bist du? Versteckst du dich vor mir? Weil du dich von mir losgesagt hast? Weil du meinen Rat – mein Gebot - übergangen hast? Du fürchtest dich, weil du nackt bist? Nackt bist du doch sowieso – Adam – du Erdling – du irdisches Wesen, wie dein Name sagt.“

Hören wir diese Fragen Gottes als Fragen an uns und unsere Zeit - Jenseits von Eden? Bringen wir Gottes Anfragen in Verbindung mit den Fragezeichen hinter unserer Kultur und Lebensweise? D.h.: Sehen wir die Grenzen unserer menschlichen Möglichkeiten? Haben wir uns in ein Muster von Selbstverwirklichung verstrickt, dass uns taub macht für das, was geboten ist? Und sehen wir noch, wie irdisch, wie vergänglich, wie zerbrechlich unser Leben ist?

»Mensch, wo bist du?« Eine Antwort geht all meinem Nachdenken über die Fragen an unsere Zeit voraus. „Ich stehe hier - vor dir Gott – Tag für Tag - und feiere dein größtes Geschenk:
Dass ich heute leben darf.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=6029
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