SWR2 Wort zum Tag

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„Halt an! Wo läufst du hin?“. Vor mehr als 350 Jahren hat der Dichter und Gelehrte Angelus Silesius so zu seinen Zeitgenossen gesprochen. „Halt an!“, das klingt wie eine eindringliche Bitte, wie ein Warnruf. „Wo läufst du hin?“, diese direkte, sehr persönliche Frage, bringt jeden in Verlegenheit, der sie an sich heran lässt. Denn wir wissen nicht, wohin wir laufen – letztlich – und werden es nie wirklich wissen können. „Wo läufst du hin?“- ist die Frage einmal gestellt, lässt sie nicht mehr los.
Angelus Silesius lebte in den Zeiten des 30-jährigen Krieges. Er kannte die Sorgen ums Überleben in schwerer Zeit, auch das Mühen derer, die Gott suchen und bemüht sind, gut zu leben und richtig zu handeln. „Halt an! Wo läufst du hin?“, fragt er und fährt fort: Was du suchst, „der Himmel ist in dir; suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für“. Angelus Silesius lenkt den Blick nach innen: Bleib nicht dabei, so könnte man ihn verstehen, Gott draußen zu suchen, in dem, was andere dir von ihm sagen. Erst wenn du seine Nähe in dir selbst für möglich hältst, führt deine Suche weiter. „Der Himmel“, Gottes Gegenwart, ist in dir, ist dir geschenkt.
In ganz anderer Weise, wandte sich in unserer Zeit der polnische Journalist Ryszard Kapuscinski an seine Hörer und Leser. Unermüdlich ist er gereist und hat recherchiert, vornehmlich in den armen Ländern Afrikas. Im Rückblick auf sein Lebenswerk fordert auch er dazu auf, einzuhalten. Und dann lenkt er den Blick anders als Angelus Silesius: „Halte inne“, sagt Kapuscinski. „Neben dir ist da noch ein anderer Mensch. Geh, ihm entgegen. Eine solche Begegnung ist das größte Erlebnis, die wichtigste Erfahrung. Schau dem Anderen ins Antlitz, das er dir entgegenhält. Durch sein Antlitz öffnet er sich dir, mehr noch, bringt er dich Gott näher.“ ( Der Andere, Frankfurt 2008, 33.44). Schau deinem Mitmenschen ins Antlitz, riskiere seine Nähe, auch wenn er ganz anders ist als du. Der Blick ins Antlitz des anderen ist es, der dich Gott, den du suchst, näherbringt.
„Der Himmel ist in dir“, höre auf die Stimme deines Herzens, so rät Angelus Silesius. Begegne dem Menschen, der neben dir ist, von Angesicht zu Angesicht. Er bringt dich Gott näher, so Kapuscinski.
Es gibt den Weg „nach innen“ und es gibt den Weg „nach außen“. Beide können in die Nähe Gottes führen. Entscheidend ist für beide das „Halt an!“, „Halte inne“, bleib nicht beim Gewohnten, geh weiter.
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