Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Eigenverantwortung. Dieses Wort hat Konjunktur in der aktuellen Krise. Politiker und andere Verantwortliche mahnen: Niemand darf sich vorschnell in die soziale Hängematte fallen lassen. Niemand darf die Solidarität des Staates und der Gesellschaft unnötig in Anspruch nehmen. Jeder muss nach besten Kräften für sich selbst sorgen.
Das klingt vernünftig, geradezu selbstverständlich. Trotzdem ist es nur die halbe Wahrheit. Denn leicht kann die Eigenverantwortung als Deckmantel für puren Egoismus dienen.
Die Bibel erzählt hierzu eine drastische Geschichte: Der Bauer Kain erschlägt seinen Bruder Abel, weil er in ihm einen Konkurrenten um Gottes Wohlwollen und Gnade sieht. Gott bemerkt natürlich die Tat und fragt Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Kain antwortet: Ich weiß es nicht. Bin ich der Hüter meines Bruders? Er schiebt damit seine Eigenverantwortung als Täter auf seinen ermordeten Bruder, der offenbar nicht aufgepasst hat. - Diese Geschichte zeigt in äu-ßerster Konsequenz, wohin eine falsch verstandene Eigenverantwortung führen kann. Sie kann im letzten dazu führen, dass der Täter zum Opfer sagt: Selber schuld, warum hast du auch nicht auf dich aufgepasst, hättest eben mehr Eigenverantwortung zeigen sollen. - Die drastische biblische Geschichte weist auf eine Haltung hin, gegen die wir uns wappnen müs-sen: Wir können uns nicht mit Eigenverantwortung herausreden, wenn es dem anderen schlecht geht. Am wenigsten dann, wenn wir dafür mitverantwortlich sind oder dem anderen helfen können. „Der Skandal besteht nicht in deinem Reichtum, sondern in der Armut deines Nachbarn“, sagt ein Sprichwort. Gott wird nicht nur fragen: Hast Du eigenverantwortlich ge-handelt? Sondern auch: Wo ist dein Bruder, deine Schwester, dein Nachbar oder der Mensch, der auf deine Hilfe angewiesen war und dem du hättest helfen können? Die Bibel sieht die Ver-antwortung für sich selbst und die Sorge für den Mitmenschen als Einheit: Du sollst den Nächs-ten lieben wie dich selbst, heißt es in der Heiligen Schrift. Eigenverantwortung und Solidarität sind - gerade in der Krise - zwei Seiten derselben Medaille. https://www.kirche-im-swr.de/?m=5933
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