SWR3 Gedanken

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Er wolle ein Glas Orangensaft, sagt der Obdachlose an meiner Tür. Alle paar Monate kommt Manfred vorbei. Er hat dann immer einiges zu erzählen von seinem rauen Leben, während ich schaue, was ich ihm mitgeben kann.
„Ich habe keinen Orangensaft“, sage ich. Als er mich entgeistert anschaut, erkläre ich noch „gibt’s bei uns nur bei Festen. Ist zu teuer und die Kinder trinken das einfach so weg, auch ohne Durst. Ich kann Ihnen ein Glas Sprudel geben.“
Sein Blick schwankt zwischen Unglauben und Wut. Ich renne hoch, um zu schauen, ob ich noch was anderes habe, aber als ich mit einem reformhausmäßigen Saftrest wieder bei ihm ankomme, winkt er frustriert ab, nuschelt etwas wie „Nee, lass mal“ und geht grußlos.

Ich bleibe ratlos zurück. Hab ich was falsch gemacht? Womit hab ich jetzt dieses Abwatschen verdient? Hätte er nicht froh sein müssen, dass ich mir überhaupt Zeit für ihn nehme?

Wahrscheinlich haben wir an diesem Tag beide mit unserem bisherigen Bild vom andern gebrochen. Für ihn war es unvorstellbar, dass jemand wie ich nur Wasser trinkt. Dass ich nicht in dem Überfluss lebe, den er sich vorgestellt hat. Und ich war völlig perplex, dass jemand, der quasi mittellos ist, auch noch Ansprüche stellt

Aber Letztlich hat er mir etwas beigebracht mit seinem unwirschen Abgang:
Ich habe begriffen: es ist Hochmut, Dankbarkeit zu erwarten. Vor allem für Dinge, die man zu verschenken hat.
Schön für mich, wenn ich ein konventionelles Leben mit geregelter Arbeit und festem Einkommen habe. Schön, wenn ich was davon abgeben kann. Aber deshalb muss das noch lange keiner haben wollen. Auch wenn ich der Meinung bin, was Gutes zu tun – ob es gut ist, entscheidet der Empfänger.

Wer auf der sozialen Leiter weiter oben steht, ist noch lange kein besserer Mensch. Und wer weiter unten platziert ist, hat deswegen noch lange nicht mit allem zufrieden zu sein, was ihm die oben mildtätig abgeben.
Und überhaupt. Was ist denn da wirklich Oben oder Unten? Und hat nicht Jesus mal gesagt: „die Letzten werden die ersten sein“.

Womöglich hat mir Manfred einiges voraus.
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