Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Und? Wie feiern Sie ihn heute, den ersten Mai, Tag der Arbeit? Als Volksfest, als Kampftag oder als Feiertag?

Mein Sohn lebt seit einem halben Jahr in Amerika. Und ist ganz erstaunt, wie begeistert die Amerikaner von uns Deutschen sind. Weil wir so ein tolles Sozialsystem haben. Arbeitslosenversicherung. Sozialversicherung. Krankenversicherung. Gibt es alles dort nicht oder nur für Reiche. Die Armen haben mehrere Jobs gleichzeitig, arbeiten rund um die Uhr. Der Sonntag ist zwar Feiertag, aber die Läden sind trotzdem offen, sich zu verabreden ist schwierig, weil: einer hat immer Dienst. Dafür haben sie dort Superreiche in eigens bewachten Wohnvierteln.

Mein Sohn hört sich das alles an und freut sich, bald wieder in Deutschland zu sein. Und ich sage: Danke Gott, dass wir das nach dem Krieg hier geschafft haben. Unser Sozialsystem so aufzubauen. Auch wenn es immer schwieriger wird, es in dieser Finanzkrise durchzuhalten. Danke, dass die meisten in diesem Land noch immer eine Solidargemeinschaft sein wollen. Danke, dass es Gewerkschaften gibt, die trotz Finanzkrise nicht locker lassen, dafür zu kämpfen: Arbeit und gerechter Lohn für alle.

Denn Arbeit ist ein Menschenrecht. Arbeit hat was mit Würde zu tun. Ohne Arbeit verliert man den Kontakt. Ohne Arbeit verliert man das Gefühl für die eigene Würde. Natürlich ist man auch mal gern ein bisschen faul. Aber doch nicht als Dauerzustand! Die Bibel sagt: das kommt davon, dass wir Gottes Ebenbild sind. Gott hat ja auch nicht ewig faul in seinen Galaxien herumgelümmelt. Gott hat was geschafft. Den Himmel und die Erde hat er geschaffen, Zeit und Licht und Tier und Pflanze. Und am Ende uns Menschen. Du bist mein Ebenbild, hat er gesagt. Also mach weiter, was ich angefangen habe.

Das ist die Vorgabe. Auch in Zeiten der Wirtschaftskrise. Das ist unsere Würde als Volk, dass wir uns nicht die Würde nehmen lassen. Wir sind so stark, wie wir mit der Würde der Schwächsten umgehen. Meine Mutter zum Beispiel, die ist jetzt 88. Küche aufräumen geht nicht mehr. Aber die Finger sind ok. Also strickt sie. Socken für die Enkel. Die freuen sich, dass sie was haben, wenn sie kalte Füße kriegen. Im Winter und überhaupt. Und geben ihr den Lohn, den sie am meisten braucht: das Gefühl, ein wertvoller Mensch zu sein.
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