Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Es gibt Leute, die brauchen Gott nicht. Und schon gar nicht seine Vergebung. Weil ihnen nie was Schlimmes passiert und weil sie nie was Schlimmes machen.

Es gibt Leute, die brauchen Gott. Und sie brauchen Menschen, die an seine Vergebung glauben. Weil sie mit ihrer Schuld sonst nicht leben könnten.

„Ein Ehemann hat seine junge Frau verloren, ein Kind seine Mutter. Und ich bin schuld. Diesen Schmerz werde ich nie vergessen.“ Der Ministerpräsident von Thüringen, Dieter Althaus hat das gesagt. Letzte Woche hat er sich von seinem Skiunfall wieder auf der politischen Bühne zurückgemeldet. Er stellt sich der Wiederwahl als Ministerpräsident. Und er steht öffentlich zu seiner Schuld. Ich finde das ganz bemerkenswert. Dass so etwas bei uns möglich ist.
Denn ich habe mich schon lange gefragt: wie halten wir es in unserer christlich geprägten Gesellschaft mit der Vergebung? Muss denn immer einer, der schuldig geworden ist, wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen werden? Ist das nicht ein Glück für uns alle, wenn wir lernen, mit Schuld umzugehen, auch öffentlich?

Jesus hat doch immer wieder gesagt: Wir haben einen Gott, der uns die Schuld vergibt. Der uns mit unserer Schuld verändert und verwandelt, wenn wir uns da nicht rausreden, sondern offen dazu stehen. Jesus hat immer wieder gesagt: wer seine Schuld bekennt, dem wird sie vergeben. Der kann neu anfangen.

Im Fall des Ministerpräsidenten Althaus ist das wohl so. Natürlich, die junge Frau wird nicht mehr lebendig. Aber wir erfahren, wie er sich verändert hat, durch die Auseinandersetzung mit seiner Schuld. „Mir ist bewusst geworden, wie wertvoll und wie zerbrechlich das Leben ist, sagte er. Und ich weiß jetzt, dass ich jeden Tag auf Vergebung angewiesen bin.“

Und ich weiß jetzt auch die Menschen zu schätzen, die anderer Meinung sind als ich.“ Darf einer, der schuldig geworden ist, ein öffentliches Amt bekleiden? Ich hoffe doch sehr. Ja, es gibt Menschen, für die hat Jesus nicht umsonst gelebt.

Mittwoch, den 29.4.09
Mit Grenzen leben: Ohnmacht
Wir sind wie irdene Gefäße, hat Paulus einmal geschrieben. Höchst zerbrechlich, oft angeschlagen. Mit einem Sprung in der Schüssel, sozusagen. Aber gerade durch diesen Sprung, durch diese Macke hindurch kann Gottes Liebe besonders hell scheinen.
Was das heißt, habe ich durch sie neu gelernt.

Sie ist jetzt 18 und ich kenne sie seit mehr als einem Jahr. Das heißt, ich kenne nur ihren Vornamen und ihre Email- Adresse. Irgendwann mal hat sie mir geschrieben. Dass sie eigentlich nicht mehr leben will, aber Angst vor dem Sterben hat. Ihren Hilferuf hat sie in Gedichte gepackt. Schaurig schöne Gedichte. Irgendwann erzählte sie mir die Geschichte hinter den Gedichten: nachdem ihre Mutter gestorben war, hat ihr Vater durchgedreht. Hat ihr Gewalt angetan. Da war sie grade mal 15. Seitdem ist sie neben der Rolle. Hat die Schule abgebrochen, verletzt sich selber, wenn der Schmerz zu groß wird. Sie ist intelligent, sie weiß genau was los ist, dass sie professionelle Hilfe braucht. Aber sie will nicht auch noch ihren Vater verlieren. Außerdem traut sie niemandem. Also schreibt sie Gedichte. Und schickt mich mit ihren e-mails und den Gesprächen am Telefon auf eine Achterbahn der Gefühle.

Zwingt mich, tatenlos, scheinbar tatenlos zuzusehen, wie sie sich quält und durchs Leben schlägt. Wie soll ich umgehen mit dieser Ohnmacht? Was tun, wenn ich nichts tun darf? Mir fällt das schwer. Und doch: nicht einmal Jesus hat einem Kranken gegen dessen Willen geheilt. Immer hat er vorher gefragt. Immer hat er die Verantwortung des Anderen für sein Leben respektiert.

Ich habe versucht, mit der Grenze zu leben, die das Mädchen mir gesetzt hat. Und habe gedacht: Und vielleicht ist es genau das, was sie braucht. Wenn sie mir Gedichte schreibt. Dass ich einfach mal so ohnmächtig bin wie sie. Dass ich auch so ein zerbrechliches Gefäß bin wie sie, mit Rissen und Macken. Vielleicht ist es genau das, was ihr hilft zu spüren, dass sie nicht allein ist mit ihrer Macke, mit ihren Verletzungen. Vielleicht leuchtet da etwas von der Liebe Gottes für sie auf.

Mich tröstet dabei der Gedanke von Paulus: Gerade durch unsere Risse und Macken hindurch kann Gottes Liebe besonders hell scheinen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5887
weiterlesen...