SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Alleine!“ ist das Lieblingswort vieler kleiner Kinder. Alleine wollen sie die Treppe rauf, alleine den Löffel nehmen, auch wenn er noch nicht immer richtig in den Mund trifft, alleine wollen sie sich auf den Weg machen zum Freund im Nachbarhaus. Als Mutter oder Vater muss man manchmal ganz schön an sich halten, um sie probieren zu lassen, ob sie es wirklich schon können. Alleine, wie die Großen!
Und wenn sie ein bisschen älter werden, dann meinen sie schnell, nun können sie alles alleine und brauchen niemanden mehr. Niemanden zu brauchen – was ist das für ein merkwürdiges Ideal. Anscheinend lernen sie das von uns, Erwachsenen. Die Erwachsenen können anscheinend alles. Und wer niemanden braucht, gilt als stark und lebenstüchtig. Auf Hilfe angewiesen zu sein scheint eine Schwäche. Im Grunde machen wir uns alle miteinander das Leben schwer, wenn wir so denken. Kranke, Alte und Behinderte leiden besonders darunter.
Denn es ist ja gar nicht wahr. Jeder Mensch hat irgendwo seine Defizite. Einer kann nicht kochen, eine andere hört nicht gut, einer braucht immer mal wieder jemanden, der ihm die Hand hält und sagt: hab keine Angst, du wirst sehen, du schaffst das. Und eine andere braucht jemanden, der den Rollstuhl schiebt. Jeder hat seine Defizite. Jeder ist auf andere angewiesen.
Und das ist keine Schwäche, das ist normal. Das ist menschlich. So ist der Mensch. Denn als Gott Mensch geworden ist, da war er zuerst auch ein Kind. Jesus, geboren in Bethlehem, ein Kind, das vor Verfolgung gerettet werden musste. Und als erwachsener Mann, als er wieder in Gefahr gerät, bittet er seine Gefährten um Hilfe: Könnt ihr nicht mit mir wachen und die Angst mit mir aushalten? Später muss ihm einer sein Kreuz tragen. Und am Ende bittet er um Wasser: Ich habe Durst. „Seht, den Menschen!“ sagt Pilatus über ihn. So ist der Mensch: angewiesen auf Hilfe.
Ich glaube, es wäre gut, wenn wir nicht versuchen würden, das zu verdrängen. Wir müssten dann nicht über unsere Kräfte hinaus versuchen, allein fertig zu werden. Und wer behindert ist, alt oder krank, der kann wissen: Es ist ganz normal menschlich, so zu sein, wie ich bin: angewiesen auf die Hilfe anderer.
Und wie kann man das lernen? Vielleicht müssten wir den Kindern, die so stolz „alleine!“ sagen, zeigen, dass wir Erwachsenen auch nicht alles können. Sondern auf Hilfe angewiesen sind. Dass manchmal sogar die Kinder uns Erwachsenen helfen können. Und dass das ganz normal und menschlich ist. Vielleicht können sie ja dann darauf stolz sein.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=5884
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