SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Mein Tag ist oft verplant – zwischen Beruf und Familie bleibt nur wenig Luft. Und wenn dann mal etwas Unerwartetes kommt, muss ich aufpassen, dass ich noch alles erledigt bekomme, dass ich meine Zeit gut nutze.
Der Umgang mit der eigenen Zeit ist ein altes Thema. So schreibt etwa Katharina von Siena vor über 600 Jahren: „Warte nicht auf eine spätere, gelegene Zeit, denn du bist nicht sicher, ob du sie haben wirst. Die Zeit entschwindet unbemerkt. Darum versäumt – wer klug ist – keine Zeit und gibt die gegenwärtige Stunde, die ihm gehört, nicht ungenutzt weg für eine andere Stunde, die ihm noch nicht gehört.“
Katharina von Siena (25. März 1347 in Siena in Italien) hat im 14. Jahrhundert gelebt und ist am 29.April 1380 in Rom gestorben. Heute, am 29. April, erinnert die katholische Kirche an die große Kirchenfrau. Sie, hat ein volles Leben gehabt – und ist oft an ihre Grenzen gekommen. Von ihr kann ich 600 Jahre später lernen, was es heißt, seine Zeit zu nutzen.
Katharina ist das 24. Kind eines Handwerkers im italienischen Siena. Sie wird in turbulenten Zeiten groß. Bürgerkriege und Familienfehden sind an der Tagesordnung, in der Kirche rumort es, das Volk wird von wenigen Adeligen unterdrückt. Katharina bekommt Visionen, begegnet Jesus auf der Straße. Spinnerei? Mädchenphantasien? Ihr Leben zeigt: Die Grenzen der Wahrnehmung, der Sitten oder des guten Geschmacks haben sie nie beeindruckt. Sie fastet oft – und bringt ihren Körper an seine Grenzen; sie arbeitet im Krankenhaus und pflegt Leprakranke – immer in der Gefahr, selbst krank zu werden; sie lernt erst als Erwachsene das Lesen – und schreibt dann ungehemmt Briefe an Fürsten und Päpste. Sicher: Katharina erscheint hier als Arbeitstier. Sie nutzt die Zeit, die sie hat, weidlich aus. Was ich aber spannend finde: Sie bleibt dabei immer offen für das Leben, für Herausforderungen, für Neues und Unbekanntes.
Das habe ich ganz ähnlich in einem Gespräch mit einem Manager der Deutschen Bahn gehört. Auf seinen sicher randvollen Terminkalender angesprochen sagt er: „Ich gucke, dass ich mir für den Tag nicht soviel vornehme.“ Und ergänzt: „Oft passiert etwas und dann muss ich schnell reagieren können.“ Ich finde das eine gelungene Übersetzung für Katharina von Sienas Einsicht: „Gib die gegenwärtige Stunde, die dir gehört, nicht ungenutzt weg für eine andere Stunde, die dir noch nicht gehört.“ Sie erinnert daran, trotz vieler Termine oder Zwänge, nicht den Blick für den Augenblick zu verlieren.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5859
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