SWR2 Wort zum Tag

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Johannes hat Down. Und er ging mit unseren Kindern in den Kindergarten. Für sie war das ganz normal. Klar, Johannes war irgendwie anders. Aber das hat die Kinder nicht weiter gestört oder beschäftigt. Es war einfach so.
Erwachsene sehen das häufig anders. Down oder Trisomie 21, wie die Fachleute sagen, stört. Früher hieß es noch „Ach, ein Mongölchen“ – und das klang meistens freundlich mitleidig. Heute höre ich dagegen immer wieder und ziemlich unfreundlich: „Das muss doch nicht mehr sein.“ Oder auch ganz direkt: „Habt ihr denn keine vorgeburtlichen Untersuchungen gemacht?“ Das muss doch heute nicht mehr sein – wohl wahr. Denn die Diagnose »Down-Syndrom« während der Schwangerschaft bedeutet in den meisten Fällen das Todesurteil für den Embryo. Ein Kind mit Down nehmen nur wenige Eltern an. Viele fühlen sich überfordert, andere wissen zu wenig, wieder andere wollen sich oder dem Kind ein solches Leben nicht zumuten. Dahinter steckt häufig auch der Gedanke: Nur ein genetisch gesundes Kind ist ein wünschenswertes Kind, ein Kind, dass Eltern und Gesellschaft wollen. Doch in der Begegnung mit Johannes im Kindergarten zeigt sich: Das ist falsch. Johannes lässt erleben: Unsere Gesellschaft braucht alle Menschen – auch die mit Down.
Mir gingen bei einem Elternabend im Kindergarten die Augen auf. Johannes ist, so berichtet die Erzieherin, wichtig für die Gruppe. Sicher, Johannes kann sich nicht so gut ausdrücken, er spricht undeutlich, ist schlecht zu verstehen, er ist bei vielen Spielen ungeschickt und kann nicht alleine aufs Klo. Aber er kann Dinge, die die gleichaltrigen Kinder nicht können: Er hat schon die Gebärdensprache gelernt, kann sich mit Händen und Fingern unterhalten, er kann Buchstaben lesen, und er verbreitet oft ganz einfach gute Laune. Mit Johannes lernen die scheinbar normalen Kinder, dass Menschen unterschiedlich sind – und dass das ganz normal ist. Und sie sehen deutlicher: Auch die so genannten normalen Kinder sind nicht gleich. Alle Menschen haben Stärken und Schwächen – und beides gehört zum Leben dazu. Mit Johannes sind meine Kinder reifer geworden. Weil sie Unterschiede zwischen Menschen erkennen können. Und weil sie begreifen: Unterschiede sagen nichts über den Wert des Menschen aus. Das hat mich beeindruckt. Seitdem bin ich selber vorsichtig geworden mit meinem Urteil über andere Menschen. Und ich bin sicher: Unsere Gesellschaft braucht alle – auch Menschen mit Down. Weil sie uns helfen, alle Menschen wert zu schätzen – auch uns selbst. https://www.kirche-im-swr.de/?m=5858
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