Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Wenn er sich zum Betteln doch nur einen anderen Ort ausgesucht hätte! Dann wäre das bestimmt nicht passiert. Fast jeden Tag hatte ein Hartz IV Empfänger gebettelt, und zwar immer an einer gleichen Straßenecke in Göttingen. Dummerweise ging da auch täglich sein zuständiger Sachbearbeiter in der Mittagspause vorbei. Der Mann vom Sozialamt erkannte den Bettler. Und er schaute sehr genau hin, was der Hartz IV Empfänger in seiner Blechdose liegen hatte. Mal waren es 1 Euro 60, ein andermal sogar fast 6 Euro. Der Beamte rechnete nach - das waren ja ungefähr 120 Euro im Monat! Dem Hartz IV Empfänger teilte er mit: Die 120 Euro seien zusätzliche Einkünfte und müssten von seinem Regelsatz abgezogen werden. Der Hartz IV Empfänger war fassungslos. Nicht nur er. Über Göttingen hinaus sorgte der Vorgang für Diskussionen. Die Stadt verteidigte das Verhalten ihres Beamten. Er habe sich an den Wortlaut des Gesetzes gehalten. Das niedersächsische Sozialministerium widersprach: Die Ämter seien zu einer menschlichen Vorgehensweise aufgefordert. Doch wie soll das gehen, wenn die Gesetze so knallhart sind! Als menschliches Verhalten kann man den Vorgang in Göttingen kaum bezeichnen. Denn hier hat ein Mensch aus Not gebettelt. Das macht niemand freiwillig. Es hat etwas Entwürdigendes an sich. Schlimm genug, wenn Menschen sich dazu gezwungen sehen. Was sie erbetteln, sollte ihnen der Staat aber nicht wegnehmen und dadurch auch noch profitieren. Außerdem ist es doch ein gutes Zeichen, wenn es Menschen gibt, die anderen etwas in ihrer Not spenden. Manche tun es aus religiösen Gründen. Im Judentum, Christentum und Islam hat das Geben von Almosen an Bedürftige einen hohen Stellenwert. Es kann aber auch sein, dass Menschen einfach aus Mitgefühl anderen etwas geben. Dass es solidarisches Verhalten in einer Gesellschaft gibt, darüber sollte eigentlich jeder Staat froh sein.
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