SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Er war mir auf den ersten Blick nicht sehr sympathisch. Irgendwie habe ich mir von ihm ein Bild gemacht, das mir nicht besonders gefiel. Dann kamen wir ins Gespräch. Dabei merkte ich, was für ein interessanter und auch warmherziger Mensch er ist. Mein Bild von ihm musste ich korrigieren. – Immer wieder täuscht man sich beim Sehen und muss dann seine Sicht verändern, nachdem man gehört hat. - Manchmal muss man sehr genau hinhören. Wenn man den Streit zwischen zwei Menschen verstehen und ihnen helfen will, den Streit
zu begraben, genügt es nicht, nur den einen Konfliktpartner zu hören. Man muss beide hören, um ein genaues Bild von den Sachverhalten zu gewinnen. – Was man hört, muss überzeugen, einen berühren, muss ansprechend sein. So geht es einem jedenfalls im Glauben. Glaube entsteht dadurch, dass man sich durch Worte angesprochen fühlt und begreift: Du bist gemeint. So verändert sich dann das Bild vom eigenen Leben, von dem, was man erlebt, vom Weg, den man in seinem Leben gehen kann und soll.

In der vielleicht schönsten Ostergeschichte der Bibel wird erzählt, wie es durch Hören zum Sehen kommt und wie sich dadurch Trauer in Freude verwandelt. Ich meine die Geschichte von Maria aus Magdala, die in ihrem Schmerz über Jesu Tod zum Grab Jesu geht. Sie steht vor dem Grab und weint – über den Verlust, über den schrecklichen Tod Jesu, durch den so viele Hoffnungen zerstört sind. Sie sieht in das Felsengrab – und findet es leer. Das macht
sie völlig ratlos. Sie wendet sich um und sieht den Auferstandenen, erkennt ihn aber nicht.
Er fragt sie: Was weinst du? Wen suchst du?
Sie hält den Fragenden für den Gärtner und will wissen, ob er den Leichnam Jesu weggenommen hat; er soll es ihr sagen, damit sie ihn holen und wieder an den Ort der Trauer bringen kann. Viel-leicht sieht sie, wie unsinnig diese Frage ist und wendet sich halb ab. Dann hört sie ihren Namen: Maria. Der Fremde spricht sie an, nennt sie bei ihrem Namen. Jetzt werden ihre Augen aufgetan. Sie erkennt Jesus und kann ihn anreden – mit
der ihr vertrauten Anrede: Rabbuni, Meister!
Und gleich bekommt sie einen Auftrag: Sie soll den Jüngern von ihrer Begegnung mit dem Auferstandenen berichten.

Durch Hören entsteht Glaube. Durch Worte, die einen ansprechen und bewegen, wird der Glaube gestärkt – so, dass er auch in Krisenzeiten nicht verloren geht. Durch das Hören
auf Worte, die zusagen, dass man angenommen und geliebt ist,
sieht man sich neu und erkennt, wer man ist, nimmt in dem, was einem widerfährt, Gottes Gaben wahr und sieht Aufgaben, die es anzupacken gilt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5811
weiterlesen...