Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Merseburg an der Saale. Eine Station an der „Straße der Romanik“. Wunderschön: der mittelalterliche Dom. In seiner Vorhalle steht ein Taufstein. Über 800 Jahre alt. Rund um das tonnenartige Becken entdeckt man steinerne Figuren. Sie stellen die Propheten des Alten Testaments dar. Dann die Überraschung: auf ihren Schultern hocken die zwölf Apostel. Ein sprechendes Bild: Das Neue Testament stützt sich auf das alte. Das Christentum wird vom Judentum getragen. Die klein dargestellten Apostel können so weit schauen, weil sie auf den Schultern der riesigen Propheten sitzen.
In den letzten Wochen musste ich öfter an dieses Taufbecken in Merseburg denken. Immer wieder fiel es mir ein, wenn ich die Schlagzeilen zu den unseligen Pius-Brüdern las. Für diese Leute sind die Juden noch immer die „Gottesmörder“. Sie weigern sich, jüdische Menschen als das zu sehen, was sie sind: die älteren Schwestern und Brüder der Christen.
Jesus war Jude, so wie seine Mutter, seine Geschwister und fast alle seine Freundinnen und Freunde. Der Gott Israels war sein Vater; das Alte Testament seine Bibel. Jesus ging nicht in die Kirche, sondern zur Synagoge. Er feierte nicht Weihnachten und Pfingsten, sondern Pessach und das Laubhüttenfest.
„Wer Jesus begegnet, begegnet dem Judentum“, hat Papst Johannes Paul II. immer wieder betont. Christen dürfen demnach keine Antisemiten sein. Das hat auch das II. Vatikanische Konzil ein für alle Mal klargestellt. Dahinter gibt es kein Zurück.
Vielleicht kannte der Künstler in Merseburg ein Wort des Apostels Paulus.
Im Römerbrief bekennt der nämlich voller Stolz: „Ich bin ein Israelit, ein Nachkomme Abrahams, aus dem Stamm Benjamin.“ (Röm 11,1) Die Christen – so Paulus – dürfen nicht vergessen, dass sie eine Frucht des jüdischen Glaubens sind. Deshalb schreibt der Apostel der Kirche ins Stammbuch: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“ (Röm 11,18)
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5662
weiterlesen...