SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

25MRZ2009
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In der Fastenzeit werden die Flügel der Altäre zugeklappt. Ihre sonst verborgene Seite zeigt sich der Gemeinde. Beim Isenheimer Altar des Matthias Grünewald in Colmar zeigt die hintere Seite des Altars den gemarterten Christus, den Schmerzensmann. Heute hängt der Altar im Museum. Ursprünglich ist er aber für ein Spital gemalt worden. Wenn in der Passionszeit die Flügel ihres Altars geschlossen wurden, dann erblickten die Kranken ein Abbild ihres eigenen, verwundeten Körpers. Sie erblickten in dem Heiland ihr eigenes Elend.
Die Schattenseite des Altars zeigte ihnen eine ungewohnte Perspektive, Gott nicht als glorioser Herrscher, sondern als einer, der die Schmerzen der Menschen am eigenen Leib trägt.
In der Tat ist es eine der wichtigsten Aufgaben der Passionszeit, dass sie uns eine neue Perspektive eröffnet. Deshalb verzichten viele Menschen in dieser Zeit auf gewohnte Genussmittel. Sie trinken z.B. keinen Alkohol und erleben diese Zeit aus einer neuen Perspektive. Möglicherweise erkennen sie dabei noch mehr. Möglicherweise öffnet der Verzicht den Blick auf sorgsam verborgene Nöte. So dass Menschen eine schmerzhafte neue Einsicht gewinnen. Nämlich die, dass sie ganz schön abhängig sind, mehr, als sie es sich eingestehen wollten. Dass es ihnen schwer fällt, ihr Leben pur zu leben. Dass sie es kaum durchhalten, diese sieben Wochen bis Ostern zu verzichten oder sogar mit ihren Vorhaben kläglich scheitern.
Die zugeschlagenen Flügel der Altäre, sie stehen für alles, was uns Gott fremd werden ließ. Sie stehen dafür, dass es Menschen immer wieder nicht gelingt, dies selbständig in den Griff zu bekommen. Aber das müssen sie ja auch nicht.
Auf den zugeschlagenen Flügeln ist in Colmar der abgebildet, der diesen Schmerz am eigenen Leben trägt.
Ein Perspektivenwechsel der göttlichen Art: Wir sind nicht alleine mit unserem Schmerz und nicht gottverlassen. Schön sieht er nicht aus auf dem Bild in Colmar, übersät mit Wunden. Und zeigt: Du bist mir nicht fremd in deinem Leid, mich schreckt keine Hässlichkeit ab, ich habe das selbst ertragen. Selbst wenn du dich ekelst über dich selbst - ich ekle mich nicht vor dir.
Die Flügel der Altäre sind zugeschlagen. Wir sehen: Den leidenden Christus. Wenn es gut geht, erkennen wir beim Blick auf ihn den, der uns trösten kann über die Abgründigkeit unseres Lebens, über die Wunden, die uns das Leben zugefügt hat, der uns trösten kann über uns selbst.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5643
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