SWR2 Wort zum Tag

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Letztes Wochenende haben wir uns eine Picasso-Ausstellung angeschaut. Gut - es gibt Aktivitäten, die liegen mehr im Interessensspektrum eines Jugendlichen. Aber Mutter findet: Kultur gehört zum Leben dazu. Und Picasso ist Kultur pur. Warum malt der so? fragt mich mein Sohn. Und ich versuche zu erklären, schau mal, so viele Perspektiven in einem Bild, er malt ein Gesicht, aber du erkennst das Profil und die Frontalansicht und siehst noch gleichzeitig, wie zwei Menschen sich küssen. Ein skeptischer Blick von der Seite. Mir gefällts nicht. Sagt er. Ach, versuchs doch mal, bitte ich. Es ist doch toll, wie er diese Bewegung, diese Zärtlichkeit ins Bild bringt. Ja, du hast recht, ist wirklich ganz interessant, meint er. Gehen wir gleich Pizza essen?
Wann gibt’s die Pizza - es gibt keine Garantie dafür, dass der Funke überspringt, aber vielleicht lags ja auch daran, dass ich nicht begeistert genug erzählt, nicht die passenden Erklärungen gefunden habe. So einfach ist sie nicht, die Kulturvermittlung! Wie oft gelingt es nicht, die eigene Begeisterung an den Mann oder die Frau oder ans Kind zu bringen. Das gilt übrigens für alle wichtigen Fragen des Lebens. Woran darf ich glauben, was zählt im Leben wirklich, wofür lohnt es sich zu kämpfen - wie schwer ist es, die eigenen Werte erfolgreich zu vermitteln! Ich merke, wenn ich mir die gesamte Last der Traditions- und Glaubensvermittlung auf die Schultern lade, dann drückt mich das ganz schön nieder. Wie entlastend ist es, dass ich bei dieser Aufgabe nicht alleine bin, dass andere mit mir daran arbeiten und wir unsere Kräfte zusammen bündeln. Wenn ich nicht die richtigen Worte finde, um das zu beschreiben, was mir wichtig ist, dann gelingt das vielleicht einem anderen Menschen. Manchmal weiß ich auch nicht, ob nicht der Funke der Begeisterung mit Spätauslöser zündet und möglicherweise die Picasso-Ausstellung, die wir gerade mit meiner Ansicht nach mäßigem Erfolg besucht haben, erst in einigen Jahren ihre Wirkung zeigt. Und wenn das Kind sich nie für abstrakte Kunst begeistern kann oder sogar den Glauben verlöre - was dann? Ich schaue ihn an wie er gerade in seine Pizza beißt. Ich würde ihn trotzdem lieben, klare Sache. Zuletzt - jeder Mensch muss seinen eigenen Weg im Leben finden. Ich trage meinen Teil dazu bei, das weiterzugeben, was ich wichtig finde, und die anderen müssen schon auch selbst zusehen, was sie davon für sich annehmen und was nicht. Zuletzt liegen Erfolg und Misserfolg in Gottes Hand. Und da das eine Gute Hand ist, für jeden Menschen, können alle, die sich auf die anspruchsvolle Aufgabe einlassen, Kultur und Glauben weiterzugeben, schon ganz gelassen sein.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5642
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