SWR2 Wort zum Tag

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„Was sagen Sie jemandem, der nicht an Gott glaubt?“ Ein Jugendlicher stellt diese Frage an den früheren Erzbischof von Mailand, Kardinal Carlo Martini. Martini ist inzwischen 82 Jahre alt und lebt in Jerusalem. Der Kardinal zählt jetzt nicht – wie man vielleicht erwarten könnte – Argumente auf, die für die Existenz Gottes sprechen, sondern er drückt seine Sympathie aus und er hat Interesse an diesem jungen Menschen, der von sich sagt: ich glaube nicht an Gott. Martini will den Jugendlichen kennenlernen, mit ihm ins Gespräch kommen. „Was ist ihm wichtig? Was sind seine Ideale? Welche Werte hat er? Das würde ich entdecken wollen“ – sagt er. Und: „Wenn ich das Böse in der Welt anschaue, nimmt es mir den Atem. Ich verstehe Menschen, die zu dem Schluss kommen, dass es keinen Gott gibt.“ (13,16)
Was überrascht an der Antwort des Kardinals: „Ich überrede ihn zu nichts“ – so fährt er fort – „sondern sage ihm, er solle sein Leben ohne den Glauben an Gott ausprobieren und über sich selbst nachdenken. Vielleicht spürt er in manchen Lebensabschnitten eine Hoffnung, er merkt, was dem Leben Sinn und Freude gibt. Ich wünsche ihm Gespräche mit suchenden und gläubigen Menschen. Vielleicht gibt ihm Gott die Gnade zu erkennen, dass es ihn gibt.“ (13)
Kardinal Martini geht davon aus, dass jeder Mensch Respekt verdient, gerade derjenige, der anders ist als er selbst. Er geht davon aus, dass der Zugang zum Religiösen, zu Gott, so verschieden sein kann wie die Lebenswege, die Menschen gehen. Gott selbst, so sein Glaube, kommt Menschen auf allen Wegen, die sie gehen, entgegen. Deshalb will er einen Menschen, der nicht an Gott glaubt, nicht von diesem seinem Weg abbringen, sondern er empfiehlt dem Jugendlichen sogar, seinen Weg konsequent weiterzugehen. „Ich überrede ihn zu nichts, sondern sage ihm, er solle sein Leben ohne Gott ausprobieren und über sich selbst nachdenken.“ (ebd.)
So sprechen kann jemand, der groß von Gott denkt und der deshalb auch groß denken kann von jedem Menschen. Kardinal Martini ist dankbar für seinen eigenen Lebensweg, auf dem Gott ihn geführt hat. Deshalb kann er Gott und anderen Menschen zutrauen, dass sie sich auf anderen Wegen begegnen. Er sagt deshalb: „Ich bin vielen guten Menschen begegnet. Das Leben hat mir gezeigt, dass Gott gut ist und für jeden den Weg bereitet.“ (13)

(Kardinal Carlo M. Martini, Georg Sporschill, Jerusalemer Nachtgespräche. Über das Risiko des Glaubens, Freiburg 2008)

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