Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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"Schade, dass wir nicht klauen!", sagte das Mädchen und legte die Geldscheine in die Kommodenschublade zurück.

Eine Szene aus einem Film. Zusammen mit ihrem Vater hatte das Mädchen sich durch kleine Schwindeleien das Zutrauen einer Wohnungsinhaberin erworben. Und die hatte die beiden spontan zum Übernachten eingeladen. Weil nur noch wenig im Kühlschrank war, ging die Wohnungsinhaberin noch mal schnell was zu essen kaufen. Diese Gelegenheit nutzten der Vater und das Mädchen, um die Wohnung zu durchsuchen. Und dann lag da das Geld einfach offen in einer Schublade. "Schade, dass wir nicht klauen!" sagte das Mädchen, hoffentlich kommt die Frau bald mit was zum essen zurück!

Ich finde das eine faszinierende Umsetzung des Siebten Gebotes aus der Bibel:
Du sollst nicht stehlen! Dieses Gebot klingt zunächst wie eine barsche Drohung: Du sollst nicht stehlen! So habe ich es jedenfalls damals im Konfirmandenunterricht kennen gelernt.
Du sollst nicht stehlen! Ein Satz wie ein Peitschenhieb.

Später habe ich dann erfahren, dass man auch anders übersetzen kann:
"Du BRAUCHST nicht." - "Du brauchst nicht stehlen."
Warum?

Wenige Zeilen über dem siebten Gebot steht eine Art Überschrift für alle Gebote:
Ich bin der Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat, aus der Knechtschaft.

Diese Überschrift macht deutlich: Die Gebote sind nur die Folge einer Vertrauensbeziehung.
Gott, der mir hilft, will mich zum Vertrauen anstiften. "Du brauchst nicht zu stehlen!" sagt Gott. Du brauchst das nicht, wenn du dein Vertrauen auf mich setzt, deinen Gott.

So formuliert klingt das wie eine Einladung zum Nachdenken: Warum meinst du stehlen zu müssen. Bist du sicher, dass du das brauchst? Und wenn du es tust, machst du dich damit nicht zum Knecht derer, die reinen Egoismus predigen?

"Schade, dass wir nicht klauen!", sagte das Mädchen in dem Film und legte das Geld in Schublade zurück. Es klingt trotz eines gewissen Bedauerns in der Stimme irgendwie vergnügt. Und am Ende bekommen die beiden von der Wohnungsbesitzerin dann auch genug zu essen.

In diesem Sinne stelle ich mir seit den letzten Monaten öfter eine Fortsetzung des Films vor:
Ein Investmentbanker sitzt vor dem Bildschirm, auf dem die Kredit-Kurse flimmern.
Schade, dass wir nicht zocken, seufzt er, und schaltet den Fernseher aus.
So einen würde ich gerne zum essen einladen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5594
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