Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Der schiefe Turm war ein Zeichen. Vor viereinhalb Jahren hat sich der Turm der Kölner Kirche St. Baptist um einen Meter geneigt. Die Grabungen beim U-Bahnbau hatten die Fundamente ins Rutschen gebracht. Am vergangenen Dienstag ist aufgrund weiterer Grabungen für diese U- Bahn das historische Stadtarchiv von Köln in sich zusammengesunken. Das letzte der drei Archive, die wir über den zweiten Weltkrieg gerettet haben, hat unschätzbare Dokumente über die Entstehung unserer europäischen Kultur unter sich begraben.

Aber der schiefe Turm vor viereinhalb Jahren war ein Zeichen. Hätten wir es verstanden, hätten wir uns entscheiden können: U- Bahn oder Stadtarchiv? Schneller von A nach B kommen oder unser kollektives Gedächtnis behalten?

Natürlich hätte kein halbwegs vernünftiger Mensch das Archiv für die U- Bahn geopfert. Und doch ist die Katastrophe passiert. Warum?
Warum packt die Partnerin aus heiterem Himmel die Koffer und trennt sich? Warum wollen Kinder plötzlich nichts mehr von einem wissen? Warum kommt es zur größten globalen Finanzkrise? Wo doch keiner das gewollt hat?

Gott sei Dank ist uns unser größtes kulturelles Gedächtnis erhalten geblieben. Die Bibel lehrt uns: solche Katastrophen kommen nicht aus heiterem Himmel. Da gibt es Zeichen. Und die kann man sehen.

„Seid wachsam!“ rät Jesus seinen Jüngern: „Seid wachsam und betet. Denn ihr wisst nicht.“

Wachsam sein- ist eine Lebenshaltung. Da will ich nicht nur so schnell wie möglich von A nach B kommen. Da bin ich auch offen für das, was schief in der Landschaft steht, was mir quer kommt und nicht in den Kram passt: der nörgelnde Partner, die quengelnden Kinder, mein Körper, der mir was flüstern will, schiefe Türme. Zeichen, die mich vor der Katastrophe bewahren wollen.

„Seid wachsam und betet.“ Sagt Jesus. Wachsam sein und in Kontakt bleiben mit Gott und mit den Menschen, die Gott lieb sind. Und das sind vor allem die Schwächsten unter uns, die als erste Opfer dieser selbst gemachten Katastrophen werden.

Natürlich: wachsam sein und beten braucht Zeit. Schiefe Türme sehen und verstehen, braucht Zeit. Da komme ich nicht so schnell von A nach B wie mit der U- Bahn.
Aber was nützt uns die ganze schöne Geschwindigkeit, wenn wir vergessen haben, woher wir kommen und wohin wir eigentlich wollen? https://www.kirche-im-swr.de/?m=5565
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